© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Die Provinz wird konservativer
Frankreich: Trotz des rot-grünen Wahlsieges in Paris und Lyon verlor die Regierung Jospin die Kommunalwahlen
Charles Brant

Allen Prognosen zum Trotz haben die Franzosen Rechts gewählt. Der sozialistische Premier Lionel Jospin guckt betrübt aus der Wäsche, selbst der Linksrutsch in Paris und Lyon kann ihn nicht trösten. Am Abend der zweiten Wahlrunde gestatteten die Siege Bertrand Delanoës und Gérard Collombs der Linken noch, ihren herben Verlust zu vergessen. Diese Illusion hat sich inzwischen verflüchtigt. Für die Linke bedeuteten die Kommunalwahlen einen Schlag ins Gesicht. Sogar einige Minister mußten klare Niederlagen hinnehmen, etwa Jack Lang in Blois, die arrogante Elisabeth Guigou in Avignon, der "Haider-Feind" Pierre Moscovici, der Grüne Dominique Voynet, der Kommunist Jean-Claude Gayssot und der Verteidigungsminister Alain Richard. Die Wähler haben der Regierung Jospin eine Abreibung erteilt.

Statt der erwarteten "rosa Welle" kam es zu einer "blauen". Der Rechten ist es gelungen, um die vierzig ehemals linksregierte Städte zu erobern. In Marseille konnte das Zwiegespann Gaudin–Muselier Wählerstimmen hinzugewinnen. Auch Toulouse bleibt fest in rechten Händen, ebenso wie Nizza, wo der ehemalige FN-Politiker und heutige Gaullist Jacques Peyrat schon als Verlierer gehandelt worden war.

Die Politologen sahen sich gezwungen, ihre Analysen zu revidieren. Zur Erklärung beschworen sie die geringe Wahlbeteiligung unter den Jugendlichen und der Mittelschicht, den unbedeutenden Stimmenzuwachs der extremen Linken. Was sie verschweigen, sind die soziologischen Tiefenstrukturen Frankreichs. Sie schrecken vor dem Eingeständnis zurück, daß die Sicherheitspolitik in nicht wenigen Städten den Ausschlag gab. Dies gilt vor allem für Straßburg, für Blois und für Avignon. Das gute Ergebnis, das der Front National in Lille erzielte, verdankt er eindeutig diesem Faktor, der seinerseits mit dem hohen Bevölkerungsanteil der Einwanderer im Zusammenhang steht.

Nicht zuletzt zahlte die Linke den Preis für eine gewisse Arroganz, die sich in ihre Politik eingeschlichen hat. Deutlich zeigte sich dies an den Fällen Jack Lang, Elisabeth Guigou und Catherine Trautmann. Nach zwei Amtszeiten, die von einem Anstieg der Kriminalität in der elsässischen Hauptstadt gekennzeichnet waren, unterlag die ehemalige Kulturministerin der vor dem Wahlkampf völlig unbekannten Fabienne Keller (UDF), die von Robert Grossmann, dem ewigen Unglückskandidaten des RPR, unterstützt wurde. Catherine Trautmann, deren Spitzname nicht umsonst "die Zarin" lautet, hat für ihren autoritären Regierungsstil bezahlen müssen, aber auch für ihre Taubheit gegenüber den Sorgen der Straßburger Bevölkerung, die die alltägliche Bedrohung und die Gewaltausbrüche in den Städten leid ist.

In der Politik gilt der Verschleißfaktor als unberechenbare Erscheinung. Es scheint jedoch, als habe sich die Stimme der Linken in ihrer Wirkung ein wenig abgenutzt. Die großen Reden, die sie über den Zustand der Städte und zuletzt zum Problem der Inneren Sicherheit geschwungen hat, haben eine Bevölkerung nicht mehr beeindrucken können, die noch immer unter dem Schock der Finanzskandale steht, in die linke Regierungsmitglieder direkt oder indirekt verwickelt sind. Die Bevölkerung kehrt der Linken mehr und mehr den Rücken zu. Das deutlichste Signal für diesen Stimmungsumschlag ist die Niederlage der Kommunisten. In Drancy zum Beispiel haben die Kommunisten seit 1945 ununterbrochen regiert – jetzt nicht mehr. Auch Nïmes, Evreux und Tarbes sind der Rechten zugefallen. Hier zeichnet sich eine historische Wende ab: das Ende des "Kommunalkommunismus".

Jospin sieht sich mit düsteren Zukunftsaussichten konfrontiert. Wenn die extreme Linke, in der er seine Wurzeln hat, nicht erstarkt und ihm das Problem abnimmt, wird er sich mit den Konflikten innerhalb seiner zusammengewürfelten Mehrheit auseinandersetzen müssen. Die Grünen, nun auf den Geschmack der Macht kommen, fordern mehr Ämter für ihre Partei. Was die Kommunisten (PCF) anbelangt, so werden sie ihre Talfahrt abzubremsen versuchen, indem sie künftig einen noch regierungskritischeren Kurs fahren. Der Alt-Stalinist Robert Hue, Generalsekretär der PCF, hat den härteren Ton schon vorgegeben.

Und noch eine Überraschung: Die radikale Rechte (FN und MNR) ist keineswegs im Abseits gelandet. Obwohl die Teilung ihrem Image und ihrer Dynamik viel Schaden zugefügt hat, konnte sie immerhin drei ihrer Bastionen verteidigen. Zwar verlor sie Toulon, wo Jean-Marie Le Chevalier, ein ehemaliger Vertrauter Le Pens, eine vernichtende Niederlage hinnehmen mußte. Dafür gelang es ihr, in den übrigen Städten, die sie 1995 gewann, die Stellung zu behaupten. In Orange siegte Jacques Bompard (FN) im ersten Wahlgang mit 59,87 Prozent der Stimmen. In Marignane konnte Daniel Simonpierri (MNR) sich im zweiten Durchgang mit 62,52 Prozent durchsetzen. Und in Vitrolles, das sicher verloren geglaubt war, wurde Catherine Mégret mit 45,32 Prozent in der zweiten Wahlrunde wiedergewählt. Darüber hinaus gelangen FN und MNR in zahlreichen Städten – in Lille, Marseille oder Nizza, um nur drei zu nennen – beachtenswerte Ergebnisse. Die Rechte hat sich zur "Mehrheit in Frankreich" erklärt. Mathematisch gesehen trifft das zu. Diese Formel könnte eine Eigendynamik entwickeln, zumal sie einige Jungtalente aufzuweisen hat. Fabienne Keller ist erst 41. Patrick Boré (RPR), der der PCF La Ciotat abnehmen konnte, ist 44. Nicolas Perruchot, der Jack Lang in Blois besiegte, zählt gerade 34 Lenze. Nun muß es diesen neuen Energien nur noch gelingen, die ideologischen Blockierungen zu beseitigen, die die Führungsspitze der Rechten lahmlegen.

Die "blaue Welle" macht die Niederlagen von Paris und Lyon nicht ungeschehen – immerhin zwei Städte, die bei den letzten Parlamentswahlen zu 60 Prozent Rechts wählten und die nun dank Wahlkampfpannen an die Linke fielen. Die Verantwortung für diesen doppelten Verlust tragen, da sind sich alle Kommentatoren einig, die Staatsobersten in Paris. Vor kurzem zeigte eine Umfrage, daß die rechte Wählerschaft Jacques Chirac persönlich die Schuld an diesen katastrophalen Ergebnissen zuschiebt. Ob er aus diesen Wahlen eine Lehre gezogen hat, wird sich bei den Präsidentschaftswahlen in einem Jahr erweisen.


 
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