© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Die im Dunkeln sieht man nicht
Die Affäre um das neue Buch von Hubertus Knabe weitet sich zu einem Skandal aus
Andreas Wild

Kuriose Zuspitzung auf der Leipziger Buchmesse: Beim Propyläen Verlag wollte ein Berliner Autor sein neues Buch vorstellen, aber dieses kam ihm auf der Fahrt nach Leipzig buchstäblich abhanden; am Messestand gab es dann zwar einen Autor, aber kein Buch. Die Rede ist von Hubertus Knabe und seinem (Un)-Buch "Der diskrete Charme der DDR", gegen das die Gauck-Behörde eine einstweilige Verfügung beantragt hatte. Knabe soll gegen das Stasi-Unterlagengesetz verstoßen haben.

Worum geht es? Knabe, Jahrgang 1959, promovierter Historiker und ehemaliger Mitarbeiter der Gauck-Behörde, hat eine Untersuchung zum Thema "Zusammenarbeit westlicher Medien mit der Stasi zur Zeit der DDR" geschrieben und dabei auch Kenntnisse genutzt, die er durch Akteneinsicht während seiner Gauck-Zeit gewinnen konnte. Es handelt sich um zum Teil hochbrisante Fakten, die erhellende Schlaglichter auf die jüngste Geschichte der Bundesrepublik werfen und nicht wenige prominente Figuren aus Politik und Publizistik in Verlegenheit bringen dürften. Genau das soll offenbar verhindert werden.

In Westdeutschland waren nach Schätzungen der Gauck-Behörde bis zu 30.000 Informanten für die Stasi tätig, darunter nicht wenige Politiker, Wissenschaftler und Journalisten. Dieses bislang weggedrückte dunkle Kapitel deutsch-deutscher Geschichte versuchte Hubertus Knabe erstmals 1999 in seinem Buch "Die unterwanderte Republik. Stasi im Westen" auszuleuchten, das ebenfalls im Propyläen Verlag erschien und schon damals für Unruhe sorgte.

Zu einer handfesten Affäre hat sich nun der Streit um sein neues Buch entwickelt. Inzwischen haben Autor und Behörde vor dem Landesarbeitsgericht Berlin einen "Vergleich" geschlossen. Das Buch soll erscheinen dürfen, aber vorher soll Knabe sich mit Mitarbeitern der Gauck-Behörde zusammensetzen, um die Fakten gemeinsam "abzuchecken". Verwässerung also steht bevor, Unterdrückung möglicherweise gerade der wichtigsten Tatbestände, Verwandlung eines unabhängigen Historikertextes in ein behördlich entschärftes und geschöntes Kraut- und-Rüben-Elaborat. Der Vorgang ist ein Skandal. Nach wie vor besteht ein erstrangiges öffentliches Interesse an der Enttarnung ehemaliger westdeutscher Stasi-Spitzel und solcher Personen an wichtigen medialen Schalthebeln, die sich im Westen von der Stasi für die DDR-Politik einspannen und instrumentalisieren ließen, von ihr "Exklusiv-Informationen" (sprich: Desinformatsia) zugespielt bekamen und sie skrupellos verwerteten. Schließlich geht es um nichts geringeres als um Landesverrat. Die Straftaten von damals mögen juristisch verjährt sein, moralisch und vom Historikerstandpunkt aus sind sie nicht verjährt, müssen vielmehr endlich offengelegt werden.

Es geht nicht an, daß etwa beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig die x-te Überprüfungswelle gegen ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Stasi läuft, die entsprechenden IMs in den westlichen Sendern und Zeitungen aber weiter unbehelligt bleiben und sogar noch ausgerechnet von der Gauck-Behörde gedeckt werden. Das ist eine schreiende Dissonanz, die gerade im Osten, völlig zu Recht, Irritation und Empörung auslöst.

Falls wirklich das Stasi-Unterlagengesetz solche Dissonanzen bewirkt, dann sollte es schleunigst nachgebessert werden. Der Verdacht liegt allerdings nahe, daß es bei Maßnahmen wie etwa gegen das Buch von Hubertus Knabe gar nicht um den vom Unterlagengesetz angepeilten "Opferschutz" geht, sondern im Gegenteil um unverfrorenen Täterschutz.

Man macht sich heute kaum noch einen Begriff davon, wie hemmungslos ab den späten sechziger Jahren prominente Medien der damaligen BRD – der Westdeutsche Rundfunk, der Stern, die Zeit, auch der Spiegel – das SED-Regime aufwerteten, für seine "Anerkennung" warben und alle Kommunismus-Kritiker verhöhnten und durch übelste Kampagnen mundtot zu machen suchten. Originalton Sebastian Haffner anno 1970 im Stern: "Die DDR ist die eigentliche deutsche Erfolgsstory. Nicht in der BRD, sondern in der DDR ist ein modernes Bildungswesen für alle geschaffen worden, eine blühende Landwirtschaft, eine demokratische Justiz, vorbildliche betriebliche Mitbestimmung ... Man wird in der ganzen Weltgeschichte lange suchen müssen, um ein solches Debitkonto zu finden, wie es die Bundesrepublik gegenüber der DDR angehäuft hat, ein so schäbiges und bösartiges, so gänzlich unentschuldbares Verhalten eines Staates gegen einen anderen, der ihm nie etwas getan hat."

Das war der Tenor, und was Knabe in seinem Buch nun endlich dokumentieren will, pfeifen ja inzwischen die Spatzen von den Dächern: daß nämlich solche Töne direkt von der Stasi eingeblasen wurden und daß die Stasi – auch und nicht zuletzt durch unmittelbare und oft freundschaftliche Kontakte mit den Desinformatsia-Spezialisten in Hamburg und Köln – den Taktstock führte. Aktionen etwa zur "Zerschlagung" des Hauses Springer oder auch zur "Neutralisierung" der Berliner taz wurden, wie man bei Knabe lesen kann, in engster Koordination zwischen Stasi und "fortschrittlichen Journalisten der BRD" inszeniert.

Um es zu wiederholen: Das Interesse an der Dokumentierung dieses trüben Kapitels deutscher Mediengeschichte ist dringend und seriös. Das Interesse der Sünder, solche Aufklärung zu verhindern, ist natürlich ebenfalls groß, und dementsprechend groß ist der Druck auf die Gauck-Behörde, sie möchte ihrem ehemaligen Mitarbeiter Knabe Knüppel in den Weg werfen. Aber wenn sich die neue Chefin der Gauck-Behörde, die früherer DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, derart unter Druck setzen läßt – weshalb braucht es dann überhaupt noch eine Gauck-Behörde?


 
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