© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Goldgräber speisen im Nobelrestaurant
Mit ihrer "Allgemeinen Sonntagszeitung" will die "FAZ" demnächst dem Springer Verlag Konkurrenz machen
Thorsten Thaler

Auf dem Markt der Sonntagszeitungen tut sich einiges. Die Frankfurter Allgemeine zeigt sich wild entschlossen, ihre bisher nur regional verbreitete Allgemeine Sonntagszeitung bundesweit zu etablieren und sie von Berlin aus als Konkurrenz gegen Springers Welt am Sonntag antreten zu lassen.

Die Chancen dafür stehen gut, besonders seitdem in der Welt am Sonntag eine neue Chefredaktion waltet (mit dem von der Süddeutschen Zeitung gefeuerten "Borderline"-Journalisten Poschard als "Chefberater"), die angestammte Leser zunehmend verunsichert und bei manchen von ihnen Abwanderungsgelüste weckt. Im Spätsommer wollen die Frankfurter eine "Nullnummer" ihrer neuen Allgemeinen Sonntagszeitung präsentieren. Der von Springers Welt kommende Michael Inacker (36), der dort das Büro der Hauptstadtkorrespondenten leitete, soll Chefredakteur werden, der von der Süddeutschen abgeworbene Claudius Seidl (41) Chef des Feuilletons.

Unter den Journalisten des gehobenen Genres herrscht Goldgräberstimmung. FAZ und Süddeutsche liefern sich seit Monaten einen erbitterten Kampf um "Edelfedern", kaufen sich gegenseitig die Redaktionen leer. Nachdem die SZ der Frankfurter Allgemeinen den Chef des Feuilletons und den Literaturchef abspenstig gemacht hatte (JF 8/01), lud FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher ein ganzes Nest von SZ-Redakteuren zum Dinner ins Münchner Nobelrestaurant Tantris ein, um sie zum Absprung nach Frankfurt bzw. Berlin zu überreden. Mit Erfolg. Bereits fünf SZler haben für die FAZ unterschrieben, darunter Feuilleton-Vize Seidl.

Alle fünf, so heißt es in der Branche, seien überzeugte Anhänger der Spaßgesellschaft und der "Neuen Flockigkeit" im Mediengewerbe. Pop, Mode, Design, "Event"-Kultur sollen das Feuilleton der künftigen Allgemeinen Sonntagszeitung prägen, dazu kritische, "mit ästhetischer Dimension angereicherte" (Seidl) Politik-Kommentierung. Für die Borderline-Crew der Welt am Sonntag (deren Redaktion demnächst ebenfalls von Hamburg nach Berlin umzieht) wird es eng.


 
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