© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Rote Rosen und Rennräder
Kino: "Mädchen, Mädchen" von Dennis Gansel
Silke Lührmann

Wer hat mit dreißig – wenn sich die ersten Fältchen zeigen, das Haar schütter wird und man über Nacht vom jugendlichen Hoffnungsträger zur alternden Enttäuschung mutiert – nicht schon davon geträumt, noch einmal (und diesmal besser) zu pubertieren? Mit der inzwischen gewonnenen Lebensweisheit müßte es ein Kinderspiel sein, das Mobbing in der Tanzstunde, die erste Liebe, den Notenstreß und die tausend tagtäglichen Peinlichkeiten des Schulalltags zu meistern!

Filmemacher können es sich erlauben, und die Produzenten und Multiplexbetreiber reiben sich die Hände. Teenager, die keine Kontrolle über den elterlichen Videorekorder und manchmal nicht einmal eine ungestörte Ecke zum Schmusen haben, machen seit Jahren den größten Marktanteil der Kinobesucher aus – und kaufen auch noch mehr Popcorn und Gummibärchen als Erwachsene. Gerade in den prüden USA bedeutet eine Freigabe ab 17 in der Regel den kommerziellen Todesstoß.

Daß es mit der Lebensweisheit oft nicht weit her ist, führte Drew Barrymore vor zwei Jahren in "Ungeküßt" vor. Dennoch reißt die über den Atlantik schwappende Welle der High-School-Komödien auch hierzulande nicht ab, und in Berlin erlebt derzeit das Musical "Grease" einen zweiten Frühling.

Dieses Erfolgsrezept machte sich die Münchner Produktionsfirma Olga-Film zu eigen - nach einer in New York spielenden Vorlage. Sogar die obligaten Szenen vor den Schließfächern, in denen amerikanische Schüler ihre größten Sehnsüchte und schönsten Erinnerungen hüten, dürfen hier nicht fehlen. Regisseur Dennis Gansel, der zuletzt den Fernsehthriller "Das Phantom" drehte, verlegt sie in die Umkleideräume des Sportvereins, für den die Mädchen Volleyball spielen.

Inken, üppig blond, aber eigentlich ganz normal, die schüchterne Lena und Vicky, die gerne das Luder spielt: drei Freundinnen auf der Jagd nach dem Glück, das der erste Orgasmus verheißt. Dafür sind sie zu allem bereit. Sie schummeln beim Psycho-Test in der Frauenzeitschrift. ("Sag mal, stehst du wirklich auf SM-Spielzeug?" – "Quatsch, aber für die Antwort gibt’s die meisten Punkte!") Sie radeln fünfzig Kilometer, nachdem Inken mit dem Sattel ihres Rennrads einen öffentlichen Orgasmus genießt, der seine Komik der berüchtigten Restaurantszene in "Harry und Sally" verdankt. Selbst ist die Frau, beschließt Inken daraufhin und macht Schluß mit ihrem Freund Tim, einem Lümmel, den einzig die schwachsinnigen Sprüche auf seinen T-Shirts auszeichnen. "Andere Länder, andere Titten", steht da zu lesen oder: "Sperma enthält Vitamin C".

Doch schon bald plagen neue Zweifel die Mädchen: Zählt das denn überhaupt? Als nächstes suchen sie ihr Heil im Internet, wo Vickys Mutter immerhin schon eine Schrankwand ersteigert hat. Vicky wagt sich in einen lesbischen Chatroom, Inken setzt eine Kontaktanzeige auf. Mittlerweile hat Lena sich auf einer Party in Nick, den Sänger der Chillmeister verliebt, während die anderen Gäste einen als Urlaubsvideo getarnten Pornofilm ansahen, in dem die Eltern der Gastgeberin die Hauptrollen spielten.

Einen Moment lang wird es bedrückend authentisch, als der schnöselige Thorsten mit roter Rose und seiner Einkaufstasche voller Hardcore-Magazine das Café betritt, in dem Inken sich virtuell mit ihm verabredet hat, und allzu körperliche Forderungen an sie stellt. Doch Inkens nachvollziehbare Panik löst sich schnell in grotesken Klamauk mit einem Erektionsring aus Edelstahl und einer Laubsäge auf: In diesem Film sind Mädchen keine Opfer.

"Mädchen, Mädchen" verschwendet wenig Sympathien an die Sorgen der Jungen. Dabei haben die es auch nicht leicht in einer Welt, in der es zwischen Extasy- und Viagra-Pillen ebenso zu unterscheiden gilt wie zwischen eigenen Wünschen und den an das coole Äußere geknüpften Erwartungen der Umwelt. Wie verhält man sich, wenn die Angebetete – die in ihrem Beziehungsratgeber vorgeschlagene Etikette völlig mißachtend – auf dem Handy anruft, während man mit Freunden Pool spielt? Nicht einmal um ihre Orgasmen sind sie wirklich zu beneiden: "Hast du denn überhaupt gar nichts gespürt?" "Na ja, schon so’n bißchen warmes Gefühl." "Na also. Bei uns Jungs is’ es doch auch nicht mehr." Ach je.

Während Männer immer nur an das eine denken, haben Frauen durchaus vielfältige Interessen, wie einer aktuellen Werbung für den Online-Auftritt der Brigitte zu entnehmen ist: Kochrezepte, Diäten, Mode, Frisuren, Make-Up, Horoskope, Aerobic, Strickmuster ... Dagegen erfrischt es geradezu, wie "Mädchen, Mädchen" alle Bedrängnisse einer Heranwachsenden auf den Traum vom Orgasmus reduziert: ein frecher Film, dem die Gratwanderung zwischen derbem Humor und Schlüpfrigkeit selten mißlingt. Die glutäugige, südländische Chayenne bedient Überfremdungsfantasien aller Art: Sie steht für zügellose Leidenschaft, aber auch für rücksichtslose Landnahme auf dem Spielfeld wie auf der Tanzfläche. Spätestens seit Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" genügen einige ’68er-Accessoires – die Hippielampen im Bad von Inkens Vater, die indisch angehauchte Kluft, in der Vickys Mutter und ihre Freundinnen Orgasmuserfahrungen ausdiskutieren –, um die Elterngeneration als Karikaturen sexueller Enthemmung abzuqualifizieren.

"Mädchen, Mädchen" predigt kaum; das "Keine Macht den Drogen"-Poster in der Sporthalle akzeptiert man als realistisches Detail, das plumpe product placement von Palmolive-Duschgel notfalls auch. Wenn Inken verkündet "Ich glaube, ich will überhaupt keinen mehr", klingt das nach echter Erkenntnis statt nach Belehrung.

Um am Ende doch noch alle glücklich zu machen, greifen die Drehbuchautoren in die Trickkiste der verschlissensten Romantik: eine musikalische Liebeserklärung "für ein Mädchen, das gerade gehen wollte"; die Demaskierung eines geheimnisvollen Liebhabers; ein Unfall, der sich als wunderbarer Zufall erweist. Mit dreißig weiß man, daß nur Filme so ausgehen – dafür aber immer wieder.


 
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