© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    14/01 30. März 2001

 
Musik: Harte Rhythmen erinnern Techno-DJ PatBaten zu sehr an Marschmusik
Bumbum-Musik zu Kuschelrock
Ingmar Schönfeld

Vor über zehn Jahren gelang der elektronischen Techno-Musik der Sprung aus dem experimentellen Untergrund in den Kommerz. Symbol dieses Aufstiegs ist die ebenfalls seit über zehn Jahren stattfindende Love Parade in Berlin, die einst mit einigen hundert Teilnehmern am Kurfürstendamm startete und nun mit über einer Million Ravern jährlich durch Berlin fährt. Ähnliche Paraden gibt es in fast allen europäischen Großstädten.

Kritik wurde in den letzten Jahren vor allem von frühen Pionieren des Techno an der Kommerzialisierung der Musikrichtung erhoben. Techno als Massenmusik bedeutet für sie den Tod dieser Stilrichtung, deshalb ziehen sie sich mit ihren meist härteren, schnelleren Varianten (Gabba) in ihre Clubs zurück.

Aber Kritik wird auch von anderer Seite laut. Der schon seit langem in vielen europäischen Clubs tätige DJ PatBaten ist Initiator eine Gruppe Techno-Pioniere, die versuchen, mit neuen Konzepten und Varianten der Musikrichtung wieder eine gesellschaftliche Vorreiterrolle zurückzugeben. Zwischen seinen Auftritten fand er Zeit zu einem Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT.

PatBaten, als Du heute im Kölner Tronic aufgelegt hast, war die Stimmung im Vergleich zu anderen DJs eher verhalten und ruhig.

PatBaten: Ja, das ist richtig. Das deutsche Publikum braucht noch seine Zeit, bis es sich auf neue Styles einlassen kann. In den Staaten ist man offener für meine Art der Interpretation elektronischer Klänge. In Deutschland ist das Publikum eben mit dem Normalo-House belastet – da ist vorerst nichts dran zu machen.

Wie würdest Du Deine Art der Interpretation für unsere Leser beschreiben?

PatBaten: Ich befreie die elektronische Musik von ihrer strengen, antikreativen Form. Dabei lasse ich mich vor allem von den komplizierten Tonsystemen der sogenannten primitiven Völker Afrikas und Australiens inspirieren. Das erreiche ich durch totales Weglassen sämtlicher Takt- und Drumelemente.

Techno ohne Takt? Aber ist der strenge, durchgezogene Rhythmus nicht ein charakteristischer Bestandteil?

PatBaten: Ja, diese Fehlentwicklung weg vom Grundspirit hin zu einer aggressiven Form der Jugendmusikkultur entging auch mir nicht. Aber das heißt ja nicht, dass ich am Falschen festhalten muß, auch wenn die kommerzielle Nachfrage in Deutschland derzeit danach verlangt.

Aber wenn man sich die Losungen vergangener Techno-Events betrachtet, weisen diese doch eine aggressive Grundhaltung weit von sich. Die Love Parade zum Beispiel gab sich bereits "One World, one Future" als Motto ...

PatBaten: ... und marschierte mit über einer Million junger Menschen mit harten Vierteltakt-Rhythmen durch Berlin! An was erinnert uns denn das? Und die Abschlußkundgebung ausgerechnet an der Siegessäule? Auch wenn die Love Parade mit oberflächlichen Allerweltsthemen wirbt, spricht sie jedoch durch ihre Form und die Spielart des Techno dieselben Instinkte an wie ein Fackelmarsch der Nationalsozialisten! Und ich brauche wohl nicht weiter geschichtlich auszuholen, wo das alles endete. Ich habe jedenfalls gelernt, daß ich als DJ eine gesellschaftliche Verantwortung trage, den fettglänzenden kommerziellen Überbau des heutigen Technos zu hinterfragen.

Und was ist Dein Schluß aus der heutigen Situation?

PatBaten: Ich experimentiere eben mit der No-Rhythm-Music, kurz NRM, welche ohne bombastische Effekte auskommt. Außerdem warne ich regelmäßig meine Kollegen vor den Auswirkungen ihrer Musik, die ab 80 BPM (beats per minute) schädlich auf die Psyche junger Menschen wirkt. Mit "liegenden" Tönen spreche ich die harmonischen Zentren bei den Jugendlichen an. Ich zwinge keine Menschen zu einem Takt, auf daß sie irgendwann mal andere Menschen dazu zwingen. Überspitzt formuliert würde ich sagen, es ist die musikalisch eingängige Form der Demokratieerziehung ...

... die aber momentan bei Deinem Publikum noch nicht angenommen wird.

PatBaten: Das ist richtig und falsch zugleich. Nur weil die breite Masse momentan lieber zu Sven Väth und Konsorten abtanzt, sagt das ja nichts über die Qualität meiner Musik aus. Bei meinem Stil eröffnen sich vielerlei Möglichkeiten, die sich für den üblichen Bumbum-House á la Marusha von vornherein ausschließen. Mit einem Freund arbeite ich momentan zum Beispiel an einem Tonkonzept, wo wir zeitgenössische Autoren dazu lesen lassen. Hierbei könnte ich mir persönlich keinen besseren als den Literaturnobelpreisträger Günter Grass vorstellen. Er ist jedenfalls für solcherlei Projekte sehr aufgeschlossen. Außerdem vertritt er Ansichten, die den meinen sehr ähnlich sind.

Ist es nicht eher untypisch für Deine Musikrichtung, eine politische Meinung transportieren zu wollen?

PatBaten: Ja, aber durch das bewußte Weglassen ethischer Inhalte erzeugt man doch automatisch anti-ethische Inhalte! Die Reduzierung des Techno auf Rhythmus, Party und Schönheit birgt in sich einen Keim, der sehr viel Unheil über die Welt und Europa brachte. Auch ein entgrenzter Tänzer sollte das Leid in der Welt nicht verdrängen, da er sich dadurch nur mitschuldig macht. Die Frage, die wir uns als zivilisierte und moderne Musiker stellen müssen, liegt doch auf der Hand: Wie machen wir von unserem Einfluß bei der Jugend Gebrauch und schaffen ein Bewußtsein für die Ungerechtigkeiten dieser Welt?

Und wie sieht das speziell bei Deinen Auftritten aus?

PatBaten: Ich arbeite neben den liegenden Tönen, wie ich sie nenne, auch mit dem Einsatz von Dia-Projektoren ...

... was durchaus auch bei anderen DJ‘s üblich ist.

PatBaten: Allerdings werden bei mir keine psychedelischen Muster und archaische Symbole eingeblendet, sondern konkrete Bilder, die die Problematisierung erleichtern sollen. Heute waren das zum Beispiel Bilder von leprakranken Kindern aus Ruanda und Bilder von an einer seltenen Erbkrankheit erkrankten Aboriginies. Auch Frauenunterdrückung, Diskriminierung von Homosexuellen und Tierversuche werden thematisiert.

Hast Du schon mal eine direkte Reaktion Deines Publikums bekommen?

PatBaten: Viele Leute verlassen während meiner Performance den Raum oder stören sie durch Pfiffe und lautes Rufen. Ich werte das schon als Auswirkungen der menschenfeindlichen Vorprägung durch meine Kollegen.

Wie ist Deine Zukunftsprognose, und wie sehen Deine Projekte für die Zukunft aus?

PatBaten: Nun, erst mal hoffe ich auf eine stärkere Medienresonanz unserer Anliegen. Mit den Projekten geht es auch voran. Wie gesagt, bei Günter Grass stehe ich auf der Matte. Momentan ist sogar eine Förderung des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums im Gespräch, eventuell sogar mal ein Projekt gemeinsam mit Konstantin Wecker und Udo Lindenberg, wir werden sehen.

Danke, daß Du Dir für uns Zeit genommen hast!

PatBaten: Kein Problem. Love and Peace!

 

PatBaten, Jahrgang 1967, legt seit den späten Achtzigern in Clubs in den USA und Europa auf. Seine Tour "No Rhythm Means Peace" führt ihn durch Berlin, Köln, Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart und München. Im Sommer 2001 veröffentlicht er seine Biographie "Taktlos. Mein Leben als freier Mensch".

 

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