© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Lernfelder
Karl Heinzen

Wenn Gerhard Schröder über Bildung spricht, wird er nicht von einem wirklichen Interesse, sondern nur von einer Idee, das heißt einem Gegenstand seines momentanen Ent-husiasmus, getrieben. Recht, Medizin, Gesundheit, Technologie, Medien, Ökologie, Ökonomie, Sprachen, Mathematik, Naturwissen- schaften, Umgang "mit Wissen im Netz": An "Lernfeldern der Zukunft" ist sicherlich kein Mangel, und jeder, der darüber nachdenkt, was er gerne alles wissen würde, kann sie ohne Mühe ersinnen. Da Lernen aber zunächst einmal Raubbau an der allerknappsten natürlichen Ressource, nämlich Lebenszeit bedeutet, muß die Frage erlaubt sein, wem die vollmundige Lehrplanskizze des Kanzlers überhaupt nützt. Es gehört dabei leider zur sozialdemokratischen Tradition, sie in der Sache naiv und in der Konsequenz heimtückisch zu beantworten.

"Bildung, Bildung, Bildung": Das Wahlkampf-Gestotter von Tony Blair, das Schröder ohne zu erröten kopiert, gehört zum klassischen Repertoire einer angeblichen Linken, die das Fehlen jeglicher Aufstiegschancen für die allermeisten Menschen diesen auch noch in die Schuhe schieben will. Es wird suggeriert, daß jeder es selbst in der Hand hätte, was er aus seinem Leben macht. Das Scheitern, das viele hierbei erleben, sollen sie durchaus persönlich nehmen, zudem nährt es die Ehrfurcht vor den wenigen, die es geschafft zu haben scheinen. Kleinkariert wäre es, danach zu fragen, welchen Beitrag der historische Erfolg der Eltern zu dem aktuellen ihrer Kinder geleistet haben mag. Es ist angenehm und nicht allein individuell beruhigend, glauben zu dürfen, daß die Unterschiede der Einkommen und Vermögen nicht immer bloß auf Gaunereien zurückzuführen sind.

Bildung ist also einerseits ein Begriff zur zynischen Legitimierung gesellschaftlicher Ungleichheit. Andererseits ist er immer wieder auch geeignet, zu umschreiben, was die Wirtschaft von den Menschen erwartet. So wie eine Maschine nutzlos ist, wenn sie nicht einem bestimmten Anforderungsprofil gerecht wird, so fragwürdig ist eine menschliche Arbeitskraft, wenn ihre Ausbildung an den betriebswirtschaftlichen Erfordernissen vorbei erfolgte. Der Versuch der Unternehmen, das Bildungswesen in die Pflicht zu nehmen, gefälligst einen geeigneten und willigen Nachwuchs an seine Aufgaben von morgen heranzuführen, ist die Wiederbegründung der Kinderarbeit auf einem höheren Niveau. Daß es dabei zugegebenermaßen zivilisierter als einst zugeht, ist kein moralisches Verdienst von irgend jemandem, sondern der Tatsache geschuldet, daß die Komplexität der allermeisten heutigen Berufe eine längere Ausbildung erzwingt. Das Outsourcing dieser Ausbildung von den Unternehmen an die Schulen und Universitäten wird dabei niemand in Frage stellen wollen, auch wenn der Preis dafür ein Rest an Allgemeinbildung sein sollte: Die Steuerfinanzierung des Bildungswesens erlegt auch den Arbeitnehmern ihren Kostenbeitrag zu den Unternehmensgewinnen von morgen auf.


 
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