© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
"So falsch lagen wir nicht"
Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner über das Scheitern der Republikaner, Nichtwähler und die Meinungsforschung
Moritz Schwarz

Herr Schöppner, die Landtagswahl in Baden-Württemberg hat entgegen allenPrognosen der Meinungsforschungsinstitute das jähe Ende der Republikaner gebracht. Wieso haben Sie sich so verschätzt?

Schöppner: Die Republikaner waren mit etwa fünf Prozent angegeben und sind bei über vier Prozent gelandet. So falsch lagen wir also nicht. Es ist eben die große Bedeutung der Fünf-Prozent-Hürde, die hier so spektakulär gewirkt hat. Wir haben festgestellt, daß die Attraktivität der Republikaner in der letzten Zeit sowohl im Bund wie in Baden-Württemberg nachgelassen hat.

Warum?

Schöppner: Das ist vor allem von gewissen Phasen abhängig: Also in diesem Falle etwa die Patriotismus-Diskussion über den Stolz der Deutschen, die dazu geführt hat, dieses Thema offener anzugehen. Wenn Parteien in der Lage sind, das offen zu diskutieren und nicht zu verschweigen und damit keine Aggression zu erzeugen, dann leidet darunter natürlich die Attraktivität einer Partei wie der Republikaner.

Ist das das Ende der Rechtsparteien in Deutschland?

Schöppner: Von einem Ende kann man nicht sprechen. Wir stellen aber fest, daß es eine zunehmende Mentalität gegen Rechtsradikalismus in der Bevölkerung gibt. Die Demonstrationen, Reden, Aktionen, Spots und Plakate oder etwa staatliche Programme gegen Rechtsradikalismus führen schon dazu, daß Rechtsextreme und Rechtsradikale deutlicher als früher an den Rand gedrängt werden. In Deutschland vollzieht sich durchaus ein Mentalitätswandel. Da Politik aber ein kurzlebiges Geschäft ist, ist mit einem einfachen Verschwinden nicht zu rechnen.

War es die Angst vor einer – dank der "dynamischen" Ute Vogt – auftrumpfenden SPD, die die Wähler der Republikaner der CDU zutrieb?

Schöppner: Der Wahlkampf der SPD in Baden-Württemberg lief recht gut an. Nur, je näher die Wahl kommt, desto mehr wird sachlichen Überlegungen, Inhalten und Kompetenzzuweisungen Wert gegeben. Dann fangen die Wähler an, sich zu fragen, was passiert, wenn in ihrem Land, das ja nur so strotzt vor Wirtschaftskraft, einmal die SPD an die Regierung kommt. Deshalb hat am Ende doch die Kompetenz über die Faktoren Sympathie und Dynamik gesiegt.

Sie stellen ja nicht nur kurz vor der Wahl die Sonntagsfrage, sondern erforschen die Stimmung schon längerfristig vor dem entscheidenden Tag. Wie gehen Sie vor?

Schöppner: Es gibt zwei verschiedene Arten von Untersuchungen: Die Erhebung der aktuellen Stimmung zum gegenwärtigen Zeitpunkt und die Prognose für den Wahlausgang, den sogenannten "exit poll". Das sind zwei völlig verschiedene Angelegenheiten. Oft wird jedoch von Journalisten der Fehler gemacht, Umfragen, die einen Zeitpunkt etwa vier Wochen vor der Wahl beschreiben, nach drei Wochen immer noch zu verwenden, sprich: sie als Prognose zu mißbrauchen. Tatsache aber ist, daß diese Umfragen ja eine Frühwarnfunktion haben und den Parteien die Gelegenheit geben, gegenzusteuern. Der Zustand drei Wochen später entspricht also eben gerade nicht mehr dem Analyse-Ergebnis vier Wochen vor der Wahl. Immer dann, wenn wir also gute Arbeit geleistet haben, stimmen unsere ersten Erhebungen am Tag der Wahl nicht mehr, sofern die Parteien auf unsere Ergebnisse reagiert haben. Umfragen sind eben keine Prognosen, das wird nur leider nicht auseinandergehalten.

Laut Statistik besteht bei etwa 13 Prozent der Wählerschaft ein Bedürfnis nach konservativen Positionen, warum erhalten konservative Parteien aber nicht einmal die nötigen fünf Prozent?

Schöppner: Es gibt für die FDP etwa ein latentes Wählerpotential von dreißig bis vierzig Prozent. Das besagt aber nur, daß die FDP für diese Wähler "auch in Frage" käme, nicht, daß sie von diesen nachher tatsächlich gewählt wird. Denn die Wahlentscheidung ist Ergebnis noch weiterer Faktoren – eine Affinität alleine reicht für die Mobilisierung eines Wählers oft nicht aus. Die dreizehn Prozent sind also nur ein Potential, das erfahrungsgemäß nicht vollständig ausschöpfbar ist. Im Vergleich mit anderen Ländern sind übrigens dreizehn Prozent nicht sonderlich viel.

Die Republikaner haben über die Hälfte ihrer Stimmen verloren, wohin sind diese Wähler gewandert?

Schöppner: Die verteilen sich vor allem auf die CDU und die Gruppe der Nichtwähler. Es gibt aber genauso eine Wanderung zur den Sozialdemokraten.

Wie werden sich die Wähler der Republikaner in Zukunft verhalten: Werden sie bei der Union bleiben, eine neue Rechtspartei wählen oder endgültig zu den Nichtwählern abwandern?

Schöppner: Nein, diese Wähler gehen nicht unbedingt direkt zur Union. Sicherlich gibt es da einen Austausch, aber nicht jeder solche Wähler ist automatisch ein "Rechter". Die anderen demokratischen Parteien haben einfach gezeigt, daß sie auf solche Signale besonders reagieren, deshalb ist es ein einfacher Weg, einmal seinem Protest Ausdruck zu verleihen. Es gibt, was die Wähler angeht, ja sogar einen gewissen Austausch der Republikaner mit der PDS.

Auch "die Nichtwähler" haben also zum Verschwinden der Republikaner beigetragen. In Baden-Württemberg erreichte ihre Zahl einen neuen Höchststand. Bei welchem Wert wird sich die Nichtwählerzahl in Deutschland einpendeln?

Schöppner: Das ist nicht vorherzusagen. Wir stellen aber fest, daß es sich um eine Spirale handelt, die die Situation zuspitzt: Die Anzahl der Wähler, die die Parteien für inkompetent halten, ist größer geworden. Das führt zu einem verstärkten politischen Desinteresse, was wiederum zu einer größeren Unkenntnis in Sachen Politik führt: die Leute wissen also gar nicht mehr genau, wer welche Positionen vertritt. Ergebnis ist die Zunahme von effekthaschender Mobilisierung der Wähler – Stichwort Amerikanisierung. Das Nichtwählerphänomen ist also nicht nur eine stille Last für die Demokratie, es wirkt sich auf die genannte Weise auch direkt auf die Politik aus. Ein Umstand, der in der Diskussion um die Nichtwähler oft außer acht gelassen wird.

Drückt ein großer Teil der Nichtwähler nicht vielmehr prinzipielle Zustimmung aus, weil sie offenbar kein Problem sehen, das gewichtig genug wäre, sie zur Wahl zu motivieren?

Schöppner: Von dieser These halte ich nichts.

Müssen Kleinparteien wie die FDP oder die Republikaner also auf "amerikanischen" Populismus umsatteln, wenn sie überleben wollen?

Schöppner: Will eine Kleinpartei Erfolg haben, wird sie in Zukunft wohl vor allem von der Taktik leben müssen. Wenn man etwa Koalitionen offen in Aussicht stellt: Dann sind die Wähler eher bereit, eine kleine Partei zu wählen, um der Entwicklung eine bestimmte Richtung zu geben, als wenn eine kleine Partei die Stimmen nur "vor sich hin" sammelt.

Also in Zukunft mehr Jörg Haider oder Jürgen Möllemann statt Rolf Schlierer oder Wolfgang Gerhardt?

Schöppner: Das ist das, was ich eben versucht habe zu sagen. Die Bedeutung dieses Aspekts wird deutlich zunehmen.

Welche Rolle spielt der berüchtigte, bis zuletzt unentschlossene Wähler, der erst in der Wahlkabine über sein Kreuzchen entscheidet? Hätten die FDP und Republikaner sich kurz vor der Wahl noch mit einer populistischen Ak-tion ins Gespräch bringen sollen, um dieses Potential für sich zu mobilisieren, auch wenn dies einige Stimmen anderer Wähler gekostet hätte?

Schöppner: Der Einfluß dieser Wähler wird immer größer. Bestes Beispiel ist der Schröder/Lafontaine-Dualismus – ein typisches Beispiel für die Bedeutung des Last-Minute-Wahlkampf: In der Landtagswahl in Niedersachsen Anfang 1998 lagen die großen Parteien in Kompetenz und Positionen kaum auseinander. Doch die SPD setzte statt auf einen Kampf zwischen CDU und SPD auf die Entscheidung: "Soll Lafontaine oder unser Niedersachse Gerhard Schröder Bundeskanzler werden?" Das hatte zwar nichts mehr mit einer Landtagswahl zu tun, zeigt aber, wie Erkenntnisse über die Stimmung noch auf den "letzten hundert Metern" erfolgreich in Wahlsiege umgesetzt werden können.

Demoskopie ist also unter Umständen der Schlüssel zum Wahlsieg. Welche Verantwortung resultiert daraus für Ihre Zunft?

Schöppner: Die "Verantwortung der Demoskopen" liegt eigentlich nicht bei den Demoskopen, denn es gibt keine gesicherte Erkenntnis, wie deren Ergebnisse zu verwerten sind. Es ist eine Frage, was die Parteien daraus machen, und unsere Ergebnisse stehen neben einer Vielzahl anderer Einflüsse wie der Berichterstattung in den Medien, dem Wahlkampf und eventuellen Kampagnen. Wir sehen uns also eher als eine Art "Neutralisierer".

Nehmen Sie aber nicht unterschwellig Einfluß, etwa wenn Rechtsparteien immer mit der Farbe braun dargestellt werden?

Schöppner: Nein, wir versuchen nicht zu beeinflussen, sondern das, was ist, abzubilden. Das Problem ist vielmehr, daß die Wähler selbst kaum zwischen den rechten Parteien differenzieren. NPD, DVU und Republikaner gelten unreflektiert als "die Rechten", die – wenn etwa der Wunsch nach Protest besteht – so gewählt werden, wie sie gerade antreten: Hier die Republikaner, dort die DVU und hier und da eben die NPD.

Nach der vorletzten Landtagswahl in Baden-Würrtemberg, vor fünf Jahren, gab das Institut Allensbach zu, die tatsächlichen Zahlen der Republikaner – sie waren sehr viel besser als die veröffentlichten – "unter dem Tisch" gehalten zu haben, um die Partei nicht ungewollt zu protegieren. War das das Ende der Unschuld für Ihre Branche?

Schöppner: Das müssen Sie schon die Allensbacher fragen. Unsere Position ist, daß in einem demokratischen Staat die Wähler das Recht haben, über alle Fakten und Trends informiert zu sein.

 

Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer des Emnid-Instituts für Meinungsforschung. Nach dem Studium der Psychologie, Publizistik und Betriebswirtschaftslehre Abschluß als "Qualifizierter Marktforscher" unter der Schirmherrschaft Elisabeth Noelle-Neumanns. 1975 Eintritt in das Emnid-Institut. Seit 1991einer von drei Geschäftsführern. Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen. Ständiger Korrespondent der "Welt" und mehrerer anderer Tageszeitungen. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Fachzeitschriften. Wöchentliche Emnid-Sendung auf n-tv. Ständiger Berater des Bundespräsidialamtes, verschiedener Landesregierungen, Parteien und großer Unternehmen.

 

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