© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Kimmel und die Generäle der Stasi
Presse: Ein früherer Stasi-Informant ist zum Vize-Chef der "Bild"-Zeitung berufen worden / Beliebigkeit statt Antikommunismus
Werner H. Krause

Wenige Tage, nachdem der Mitteldeutsche Rundfunk unter dem Druck der Öffentlichkeit hoch und heilig versprach, etwas zu tun, was schon seit Jahr und Tag überfällig war, nämlich eine Anzahl von stasibelasteten Mitarbeitern von der Kommandobrücke zu nehmen, verkündete die Bild-Zeitung, daß sie den früheren Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit, Klaus-Dieter Kimmel, als stellvertretenden Chefredakteur an Bord nimmt. Am
1. April trat Kimmel seinen Posten an.

Es ist die Rückkehr eines Journalisten, der seine Karriere zu DDR-Zeiten mit Anschubskraft der Stasi betrieb. Kimmel stand schon einmal bei der Bild-Zeitung in Lohn und Brot, bis seine Stasiverstrickungen es der Verlagsleitung im Spätherbst 1999 angeraten sein ließen, sich von ihm und zwei Gefährten aus alten Tagen, den Sportjournalisten Klaus Thiemann (IM "Mathias") und Manfred Hönel (IM "Harro"), zu trennen. Doch während Thiemann in den Ruhestand ging, scheint die Vergangenheit von Hönel und Kimmel nun keine besondere Rolle mehr zu spielen; wer sich gestern als Stasi-IM seine Meriten erwarb, der empfiehlt sich heute für höhere Weihen. Im Gegenteil: Der Springer Verlag ließ verlauten, er freue sich, Kimmel als Mitarbeiter in der Bild-Redaktion zurückgewonnen zu haben, dessen "Kompetenz und Erfahrung von hohem Nutzen sein werden".

Während der MDR-Sendung über die langen Schatten der Stasi war auch zu hören gewesen, daß es die Glaubhaftigkeit einer öffentlich-rechtlichen Medienanstalt einfach nicht zuläßt, Journalisten eine Verantwortung zu übertragen, die in der Vergangenheit zu erkennen gaben, welch geringe Bedeutung sie in ihrer journalistischen Tätigkeit Ethik und Moral beimaßen. Sicher, in der ehemaligen DDR gab es nicht wenige Journalisten, die sich weder durch Verlockungen noch Drohungen auf eine Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit einließen. Der Weg so mancher Journalisten ging selbst durch die DDR-Zuchthäuser, während "nette Kollegen", die sich in ihr Vertrauen eingeschmeichelt hatten, die Stasi mit belastendem Material der von ihnen Bespitzelten versorgten, was wiederum dem eigenen beruflichen Aufstieg nutzte.

Axel Cäsar Springer setzte auf eine freie Gesellschaft und ließ seine Zeitungen eine unerbittliche Auseinandersetzung mit dem Kommunismus führen. Hätte er wohl Redakteure in seinem Haus willkommen geheißen, die sich für ein paar Silberlinge zum Handlanger eines brutalen Unterdrückungsinstruments der SED hingegeben haben?

Der Diplom-Journalist Klaus-Dieter Kimmel (54), der jetzt zu einem der stellvertretenden Chefredakteure der Bild-Zeitung berufen wurde, stand von 1974 bis 1977 als IM "Fuchs" in den Diensten der Stasi, sein Führungsoffizier war in jenen Jahren Major Arnold. "Die Quelle ist zuverlässig", urteilte die Berliner Bezirksverwaltung der Stasi über ihren Informanten. Für seine Tätigkeit erhielt Kimmel Honorare von 2.350 Ostmark und 300 Westmark. Nach seiner Entpflichtung ging er 1988 eine erneute Verbindung mit dem MfS ein, wurde jetzt unter dem Decknamen "Martin Meinel" geführt, avancierte in dieser Phase zum stellvertretenden Chefredakteur des Deutschen Sportecho, einer Zeitung, die nach der Wende vom Springer Verlag übernommen und schon nach kurzer Zeit eingestellt wurde. Der IM Kimmel zog schnurgeraden Weges in die Bild-Zeitung ein, wo ihn das Impressum bald als Leiter der Sportredaktion für die neuen Bundesländer auswies.

Zweifellos eine Vertrauensstellung. Süffisant dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß sich in der Akte der Stasiunterlagen-Behörde ein Hinweis darauf findet, daß der damalige Redakteur der Jungen Welt, Klaus-Dieter Kimmel, seinem Führungsoffizier mitteilte, daß ein Berufskollege in diesem Blatt während seiner Studentenzeit einen Beitrag über die DDR-Fußballnationalmannschaft für die Bild-Zeitung verfaßt habe. Da ist man gewissermaßen im Bilde, in welchen Gefilden dieser "Fuchs" herumstöberte.

Sein Führungsoffizier schrieb nieder: "Die Kontaktierung und Werbung des IM erfolgte zur Bearbeitung bevorrechteter Personen in der Hauptstadt." Hierunter fielen nach dem Verständnis der Stasi vor allem in der DDR-Hauptstadt akkreditierte Westjournalisten. Nach der zweiten Anmusterung Kimmels bei der Stasi wurde dort ein IM-Vorgang unter der Registriernummer XV 7068/88 angelegt. Er enthielt unter anderem die Verpflichtungserklärung vom 18. November 1988 sowie die am 14. Dezember 1988 angelegte Karteikarte für "Martin Meinel". Warum jemand zu einem Zeitpunkt, da sich der bevorstehende Zusammenbruch der DDR bereits abzeichnete, dem MfS Gefolgschaftstreue gelobte, ist schwer nachvollziehbar.

Doch was haben heute die ehemaligen Stasi-Generäle mit Kimmel zu tun? Sie gaben für ihn und andere Stasi-Leute eine Art Ehrenerklärung ab, welche sie am 19. März in der Jungen Welt publizierten. Darin heißt es unter anderem über die früheren IM: "... sie hatten eine ehrenwerte diskrete Aufgabe übernommen. Sie haben nicht aus Geldgier gespitzelt, auch nicht aus Karrieregründen. Sie waren von der Notwendigkeit der Sicherung ihres Staates überzeugt, erfüllten Verfassungspflichten und trugen zur Einhaltung der Gesetze bei. Wir bedauern, daß wir den Schutz dieser Menschen nicht gewährleisten konnten". Und schließlich noch: "... deshalb soll man endlich einen Schlußstrich unter die Hexenjagd nach jedem inoffiziellen Mitarbeiter ziehen und jedem Bürger auf rechtsstaatlicher Grundlage eine Chance geben, sich zum Wohle aller zu beweisen."

Dieses Schriftstück, daß von Generalleutnant a. D. Gerhard Neiber, Generalmajor a. D. Gerhard Niebling, Generalmajor a. D. Willi Opitz, Generalmajor a. D. Horst Pfitzner, Generalleutnant a. D. Wolfgang Schwanitz, Generalleutnant a. D. Manfred Hummitzsch und zahlreichen weiteren Obristen unterzeichnet wurde, ist der Gipfel der Unverschämtheit. Hier werden zehn Jahre, nachdem die DDR dahingeschieden ist, die Untaten der Stasi nachträglich gerechtfertigt. Ihnen fielen Zehntausende von Menschen zum Opfer, nur weil sie mehr persönliche Freiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung für sich in Anspruch nehmen wollten.

Genau aber wegen dieser zynischen Bejahung der kommunistischen Gewaltherrschaft, die den Menschen viel Leid gebracht hat, ist kein Platz für die Helfer der Täter in Medien oder öffentlichen Staatsämtern. Es hat nichts mit einer Hexenjagd zu tun, wenn die ehemaligen IM von den Schalthebeln der Gesellschaft ferngehalten werden. Sie müssen lernen, daß ihnen eine Selbstbeschränkung guttäte.


 
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