© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Frische Luft, morsche Welten
Kino: "!Zusammen!" von Luka Moogiysson
Ellen Kositza / Claus M. Wolfschlag

Schweden, 1975. Elisabeth trennt sich von ihrem Mann. Nachdem dieser schon seit längerem seinen Alltagsfrust in Bier ertränkt und bereits zum zweiten Mal gewalttätig gegen seine Frau wurde, packt sie ihre Koffer, die beiden Kinder Stefan und Eva und zieht zu ihrem Bruder Göran. Der Umzug wird für die schwedische Hausfrau zum Einstieg in eine andere Welt, denn der Pazifist Göran lebt in einer Kommune zusammen mit langhaarigen "Hippies". Hier wird Gemüse angepflanzt, über Politik diskutiert, freier Sex praktiziert, meditiert und Rotwein getrunken.

Da ist zum Beispiel Anna, die naiv politisierende und meditierende Emanze. Anna hat einen Sohn, Tet, benannt nach der Tet-Offensive im Vietnamkrieg. Als Kleinbürgerin Elisabeth mit hornbebrillter Tochter und verstocktem Sohn ins Kommunenleben eintritt, geht Anna gerade unten ohne: frische Luft an ihre Pilzinfektion. Anna ist seit einiger Zeit lesbisch – aus politischen Gründen. Hinter ihrem aufgesetzten feministischen Vokabular, das wird bald deutlich, verbirgt sich die Sehnsucht nach Respekt und ehrlicher Zuneigung.

Görans Freundin ist Lena. Sie leben in einer offenen Beziehung, deren Freiheiten jedoch allein Lena nutzt, während der sanfte Göran die lautstarken sexuellen Höhepunkte Lenas aus dem Nebenzimmer mithört. Dabei ist Lena eher zufällig in dem ideologisch untermauerten Wohnprojekt, sie denkt selten, bevor sie handelt, und hat im Grunde nur eine Prämisse: niemals so zu werden wie ihre Mutter. Dann ist da noch Erik, orthodoxer Marxist, ein Hyperintellektueller, der sich jedoch als Arbeiter verdingt und eine Dauerdiskussion mit Lasse, dem Studenten, pflegt. Er, Lasse, verrate das Proletariat. Lasses Retourkutsche: "Dein Vater ist doch ein stinkreicher Bankier." Erik, ideologisch astrein: "Ich habe keinen Vater mehr!" Erik, trotziger und zutiefst unzufriedener Rebell, pflegt den Geschlechtsverkehr nur unter einer Bedingung: Daß frau mit ihm diskutiert, vorher, nachher, über den Kapitalismus, die Bourgeoisie und die Revolution. Einen eigenen Lebensstil pflegen auch Signe und Sigvard, die Radikal-Ökologen, die eine Selbstversorgung anstreben und mit ihren Mitkommunarden einen Streit über Pippi Langstrumpf-Lektüre führen: Diese Bücher seien schädlich, Pippi eine Materialistin.

Dem bunten Leben der jungen Leute gegenübergestellt wird neben dem Sog der Vereinsamung, in den nun Elisabeths zurückgelassener Mann gerät, die bürgerliche Familie von nebenan, deren ebenfalls hornbebrillter, feister Sohn sich mit der stillen Eva anfreundet – sehr zum Ärger seiner Eltern, die das Treiben der Kommunarden mit Argwohn und Ressentiment betrachten. Daß ihr eigenes Leben in den eingefahrenen Alltagsbahnen langweilig und steril verläuft, wird erfahren, doch nicht wirklich wahrgenommen. Peinlich wird es, als der Sohn nach einem Streit mit dem Vater seiner Mutter die Pornoheftsammlung ihres Mannes vor die Füße wirft ...

"!Zusammen!" – so lautet der Kommunenname – ist ein Film über Lebensentwürfe und deren Haltbarkeit im Alltag, er ist dabei viel weniger harmlos, als er durch seine humorige Art scheinen mag. In der Rückbetrachtung erscheinen die Identitätsmasken der Menschen vergangener Jahrzehnte immer belustigend. Vermutlich wird es auch den heutigen menschlichen Abziehbildern – sei es mit Dreadlocks, mit "Nazis raus"-Aufnäher, in grotesken baggy-pants oder mit rosa Sonnenbrille – einmal so ergehen.

Der Film bietet neben der eher zeitlosen Thematik – wie leben? – einen heiter-ironischen Einblick in die Post-68er-Ära, die durch den zeitlich distanzierten Rückblick nichts an Authentizität verliert. Mit akribischer Detailtreue taucht das Innenleben des Kommunenwesens aus der mythischen Verklärung wieder auf zum klareren Blick der Gegenwart – wenn auch nur in den Kinosälen. Dabei sympathisiert der Film dennoch eher mit seinen Protagonisten, als daß er sie verlacht.

Der Schlüssel zum Glück scheint in der Synthese beider Welten zu liegen. Wirkt die bürgerliche Welt durch die ihr innewohnende Vereinzelung, den Alkoholismus und die immanente Gewalt innerlich morsch, so muß auch die Kommune-Welt erst von ihren extremen, nicht lebensgemäßen Elementen gesäubert und durch die Aufnahme suchender bürgerlicher Menschen bereichert werden, um ihr zutiefst menschliches Antlitz zu enthüllen.

Die Kinder Elisabeths – übrigens hinreißend besetzte Rollen –, ausgestattet mit jenem natürlichen Instinkt für die richtige Balance, der Kindern bisweilen eigen ist, wirken dabei wie ein Gradmesser zum Gelingen des gesellschaftlichen Experiments. Lukas Moodyssons Spielfilm-Erstling "Raus aus Amal" von 1998 hatte sich als genialer Wurf erwiesen, "!Zusammen!" ist ein ebenbürtiger und unbedingt sehenswerter Film. Der Film läuft bundesweit am 12. April an.


 
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