© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    15/01 06. April 2001

 
Abwicklung eines Laboratoriums
Zwischen Locarno und Vichy: Hans-Wilhelm Eckerts Studie über die Konservative Revolution in Frankreich
Robert Bolger

Im Jahre 1931 bezeichnete der Journalist Waldemar Gurian die Action Française als ein "politisches Laboratorium" . Bedenkt man den enormen Beitrag Frankreichs zum Bestand der politischen Ideen, so könnte man von Frankreich überhaupt als einem politischen Laboratorium sprechen. Besonders trifft diese Bezeichnung natürlich für jene Zeit zu, die von humorvollen Historikern das "lange 19. Jahrhundert" genannt wird: sehr salopp wird so die Zeit von etwa 1770 bis zum Ersten Weltkrieg schubladisiert.

Doch selbst wenn sich die französische Linke nicht frühzeitig einen Grabstein mit der Aufschrift "Alexandre Millerand" geleistet hätte, und sich die französische Rechte nicht in jeder Hinsicht fürchterlich am Ersten Weltkrieg verhoben hätte: allein durch das, was man wenig nationalistisch und sehr ökonomisch den "Blutzoll" zu nennen pflegt, war Frankreich nach 1918 nicht mehr das, was es für die Ideengeschichte vorher bedeutete. Nun zehrte man von der Zeit vor dem Kriege und begnügte sich letztlich damit, Anschluß zu suchen.

Mit dem Ausgang des Zweiten Weltkrieges war das Schicksal des bedeutenden Laboratoriums Frankreich endgültig besiegelt. Der sich verstohlen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nährende "Existentialismus" war nicht mehr als ein kakophoner Trauermarsch zu der nicht in sehr würdiger Weise erfolgenden Schließung des Laboratoriums. Und das lange Elend aus der Londoner Emigration, nach dem allen Ernstes sogar ein Ismus benannt wurde, ist wohl eher für Rhetorik- denn für Ideenforscher interessant. Allenfalls erwähnenswert wären einige Ansätze, die sich von den Pariser Universitäten in das Kolonialfrankreich fortpflanzten – man denke nur an die Baath-Bewegung. Natürlich wurden diese Ansätze in der Folgezeit durch die Logik des "Kalten Krieges" buchstäblich zerquetscht.

Man darf also vermuten, daß das Laboratorium seine letzten Chancen in der Zeit zwischen den beiden Kriegen verspielte, weshalb sich ein geschärfter Blick auf diese Zeitspanne lohnt.

Nur langsam entwickeln sich Bestrebungen, die isolierten Episoden (geschichtswissenschaftlich meist in mehr oder weniger einfältigen Helden- und Schurkenerzählungen abgehandelt) der französischen Geschichte jener Jahre, vom Erstarren des demokratischen Systems, der Volksfront, der Kollaboration, der kommunistischen "Befreiung" und des Gaullismus in eine Geschichte zu fassen. Eine freilich filigrane Forschungsaufgabe, die längst nicht jeder Lehrstuhl zu leisten vermag. Im Rahmen dieses Forschungsinteresses wurde der Titel einer frühen Arbeit von Jean-Louis Loubet de Bayle zum Programm: "Les Non-Conformistes des années 30". Gemeint ist die Zeit zwischen Locarno und Vichy, als der allgemeine Bankrott der Ideen eine ganze Reihe von Leuten unterschiedlichster politischer Herkunft veranlaßte, ihr Ränzlein zu schnüren und die gar nicht mehr heile Welt der hergebrachten politischen "Lager" zu verlassen.

Nach der fulminanten Gesamtbetrachtung von Andreas Wirsching zu dieser Thematik legte der Verlag Oldenbourg nun ein Spezialstudie nach, in der sich Hans-Wilhelm Eckert mit den Hauptvertretern der sogenannten "Jeune Droite" (zumeist Dissidenten der Ende der zwanziger Jahre erheblich schwächelnden Action Française) und jenen des "Ordre Nouveau" (zumeist junge "freischwebende Intellektuelle" im Sinne Karl Mannheims) befaßt.

Von dem guten Dutzend Intellektueller, die Eckert in seiner überzeugenden Arbeit auf ihrem Weg durch eine immer enger werdende Gasse verfolgt, ist diesseits des Rheins vermutlich nicht einmal die Hälfte gebührend bekannt. Robert Brasillach, Thierry Maulnier (= Jacques Talagrand), Emmanuel Monnier und Denis de Rougemont mögen Namen sein, deren Klang hierzulande vielleicht ein Gesicht erzeugt. Aber Robert Aron, Gaston Bergery, Claude Chevalley, Armand Dandieu, Daniel-Rops (= Henri Petiot), René Depuis, Jean Fabrèques, Alexandre Marc (= A. Marc Lipiansky) und Jean-Pierre Maxence gilt es erst noch zu entdecken. Von ihnen allen läßt sich vielleicht sagen, was Helmuth Plessner von den zornigen jungen Männern des Expressionismus und des Bauhauses schrieb: "Ihr Radikalismus hätte jede Revolution begrüßt und doch zu keiner mehr gepaßt, weil er die Gegensätze von rechts und links in einem politisch faßbaren und fruchtbaren Sinne, im Sinne von Beharrung und Fortschritt hinter sich gelassen hatte."

Die große Beunruhigung, welche in ganz Europa in der Zeit zwischen den Weltkriegen eine stattliche Zahl von Menschen dazu brachte, jene alten Gegensätze hinter sich zu lassen, war die mit dem Ersten Weltkrieg endgültig zur Lebensform gewordene Massendemokratie. Das Zauberwort, das alle Gegensätze dieser – zuletzt von Panajotis Kondylis beschriebenen – Massendemokratie aufheben sollte, war damals der Sozialismus im weitesten Sinne. Und schon vor den Arbeiten von Zeev Sternhell war nicht unbekannt, daß man die Geschichte der rechten politischen Strömungen nicht verstehen kann, ohne einen genauen Blick auf all die Dissidenten aus dem Lager der Linken zu werfen.

Hendrik de Man zitiert in seinen Memoiren einen Ausspruch von Robert Drill von der Frankfurter Zeitung aus dem Jahre 1926: "Es gibt heute weniger Sozialisten als je bei den Sozialisten, aber mehr als je bei den anderen." Die von Eckert in souveräner Quellenbeherrschung beleuchteten Zirkel variierten das große Zauberwort bis zum Abwinken: Personalismus, Föderalismus, Planismus, Konservative Revolution usw. Alle Farben sozialer Romantizismen funkelten noch einmal auf. Überhaupt fehlte es bei den französischen "Nonkonformisten" nicht an Grillen: von der Wiederherstellung der österreichischen Monarchie bis zur Bildung eines Groß-Ungarn reichten die Bemühungen, das Unheil von Versailles wieder aus der Welt zu schaffen. Doch es war schon fünf nach zwölf: Hitler klopfte nun immer vernehmlicher an die Tür des Laboratoriums.

Es war eine kluge Entscheidung Eckerts, die Geschichte der von ihm ans Licht gezogenen Zirkel als eine Geschichte der französischen Reaktionen auf die Politik des nationalsozialistischen Deutschlands zu konzipieren. Denn längst war das politische Laboratorium Frankreich nicht mehr "Herr des Verfahrens". Die Blicke aus den Pariser Cafés und Redaktionsstuben waren auf Moskau, Berlin und Rom gerichtet. Am Ende wurden die Vertreter der "Jeune Droite" und des "Ordre Nouveau" von der Geschichte untergepflügt. Kollaboration und Widerstand finden sich in den von Eckert zusammengestellten Biographien ebenso wie das nunmehrige Mitwursteln am Bau des massendemokratischen EU-Molochs in der Nachkriegszeit. Die Öffentlichkeit der Massendemokratie des 20. Jahrhunderts unterscheidet sich völlig von jener bürgerlichen des 19. Jahrhunderts. Denn nunmehr ist endgültig kein Platz mehr für Leute, die ernst nehmen, was sie denken. Jetzt zählt nur: auf der richtigen, der sicheren Seite zu stehen. Deshalb versteht natürlich heute auch niemand mehr zum Beispiel Drieu la Rochelles Schlußwort zu seinem eigenen – fiktiven – Säuberungsprozeß. Drieu sprach hier auch das vermutliche Schlußwort des "Nonkonformismus" (übrigens ein sehr vager, unglücklicher Begriff) zum Verhalten zwischen Locarno und Vichy: "Es ist die Rolle der Intellektuellen, zumindest einiger, sich über die Ereignisse zu stellen, auch Chancen, die Wagnisse sind, zu ergründen, die Wege der Geschichte zu erproben."

Dadurch daß Eckert – bestens gepolstert durch reiches Quellenmaterial – den schwierigeren Weg wählte, und statt zu interpretieren, eine geschichtliche Situation zu rekonstruieren versuchte, wurde er nicht nur den von ihm behandelten "Nonkonformisten" gerecht. Er zeigt auch die europäische Dimension einer "rechten" politischen Strömung auf, die man im Ernst nicht länger als eine Geschichte von "Quislingen" beschreiben kann.

Obwohl Eckert in zwei klugen Kapiteln die Suche nach einem Oberbegriff dokumentiert, dürfte es zunächst aber sekundär sein, ob man hier von "Faschismus", von "Neuem Nationalismus" oder von "Konservativer Revolution" sprechen sollte. Weil besonders gallertartig, und daher nichtssagend, sollte besonders bei Verwendung der Formel "Konservative Revolution" – klingt ohnehin wie "Eile mit Weile"... – Vorsicht obwalten. Diese Formel ist – wie vor vielen Jahren ein kleiner Mann aus dem Sauerland formulierte – "nur eines der vielen mehrdeutigen Doppelworte, die in typischer Weise im 19. Jahrhundert üblich und beliebt wurden" (Carl Schmitt). Es handle sich hier um "äußerliche Wortzusammenstellungen, durch welche statt einer zusammenfassenden Einheit nur ein verallgemeinerndes Hin und Her oder ein dilettantisches Sowohl – Als auch bewirkt wird." Viel wichtiger sind weitere quellennahe Arbeiten vom Kaliber der hier angezeigten von Eckert zu den vom Diskurs der Fortschrittsmehrheit "ausgeblendeten" politischen Strömungen der Zwischenkriegszeit.

 

Hans-Wilhelm Eckert: Konservative Revolution in Frankreich? Die Nonkonformisten der Jeune Droite und des Ordre Nouveau in der Krise der 30er Jahre. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. 267 Seiten, 78 Mark


 
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