© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Kirche
Ostern – da war doch
Dieter Stein

Sonntag nachmittag. Kaffetrinken mit Freunden. Draußen machen sich die ersten Frühlingsboten bemerkbar. In der Tasse dampfender Kaffee. Seele baumeln lassen. Zeitung lesen, das Gespräch plätschert dahin. "Weshalb feiern wir eigentlich Ostern?" fragt jemand. Plötzlich steht diese Frage im Raum. Mühsam wird die Ostergeschichte zusammengetragen. Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag eine Woche zuvor, Karfreitag Kreuzigung, Sonntag Auferstehung. "Und weshalb feiern wir ganz genau Pfingsten?" Einer schlägt vor, daß Jesus zu Pfingsten den Jüngern wieder erschienen sei. "Wann war noch einmal Christi Himmelfahrt?" Mühsam wird Kommunions- und Konfirmationswissen zusammengekramt. So richtig genau weiß es keiner.

Wie gedankenverloren begegnen wir den höchsten Feiertagen unseres Kulturkreises. Ich rufe meine Mutter an, die muß es wissen. "Pfingsten feiern wir die Ausschüttung des Heiligen Geistes", erklärt sie geduldig, während ich mit roten Ohren lausche. Der Konfirmandenunterricht – vergessen. Und Jesus erschien seinen Jüngern selbstverständlich bereits nach der Auferstehung sofort wieder. Daran wird stets am Ostermontag erinnert! Unerschüttert in ihrem Glauben steht meine Mutter, die jeden Sonntag – im Gegensatz zu ihrem Sohn – in die Kirche geht, in der Kantorei singt und zu Ferienterminen den Organisten an der Orgel vertritt. In den Augen meiner Mutter ist die Kirche lebendig und die christliche Botschaft allgegenwärtig.

Neulich nahm ich einen großen Anlauf und suchte die Gemeinde meines Wohnbezirks auf. Es endete wie immer. In der Orgelmusik, den Kirchenliedern stellt sich Vertrautheit und eine sinnliche Freude ein, wenn die Predigt beginnt, die Unruhe und Verärgerung. Die Pfarrerin teilt mit, man spreche nun nicht mehr vom Alten und Neuen Testament, sondern vom "Ersten" und "Zweiten". Was soll das? Eine Textstelle der Bibel, die an diesem Sonntag auszulegen ist, wird supermodern gedeutet. Der Prophet Jeremia habe sich für "soziale Gerechtigkeit" einsetzen wollen, wird die Stelle (Jeremia 20, 7–9) übers Knie gebrochen. Der kämpferische Einsatz des Propheten für seinen Glauben wird zur stromlinienförmigen Beliebigkeit des Jahres 2001 heruntertransformiert: "Alles kann, nichts muß".

Ich hadere mit meiner Kirche. Der Verlust religiöser Bindung, die Entweihung der Feiertage, das Vergessen von Traditionen ist Zeichen des Verfalls unserer Kultur. Aus politischen Gründen wäre ich längst ausgetreten. Sollte man sich nicht aber stärker einmischen? Liegt die Auslieferung der Volkskirchen an den Zeitgeist und linksliberale Politiker an der Passivität der Bürger und dem Rückzug Hunderttausender Gemeindemitglieder – allein, um Steuern zu sparen?

Nach seiner Auferstehung erteilte Jesus seinen Jüngern eine Weisung: "Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe." Die Kirchen wären voller, wenn dieser Auftrag noch ernst genommen würde.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen