© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Tod, wo ist dein Sieg?
Ohne die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod würde für viele das Leben leer und sinnlos
Lothar Groppe S.J.

Selbst für viele Christen ist es schwer verständlich, daß in der evangelischen Kirche der Karfreitag der höchste Feiertag ist, da in seinem Mittelpunkt der Tod steht. Für viele, die von Naturkatastrophen oder Kriegen heimgesucht werden – denken wir an Bangladesh, das immer wieder von Überschwemmungen heimgesucht wird, oder an das unglückliche Tschetschenien, das seit Jahren unter einem erbarmungslosen Krieg leidet – ist das "Wort vom Kreuz" (1 Kor. 1, 18) unbegreiflich, ja aufreizend.

Schon die Urkirche konnte die menschliche Todesangst Jesu im Ölgarten nur schwer ertragen. Daher haben einige Interpreten der frühen Christenheit "anstößige" Sätze wie "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" aus dem Evangelium gestrichen. Die Einsamkeit unseres Herrn ließ den "Tod als der Sünde Sold" (Röm 6, 23) erkennen. Aber dieser Tod macht deutlich, daß wir auf den Herrn bauen dürfen. "So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat." (Joh 3, 16) Als Ausdruck dieser überbordenden Liebe Gottes starb sein Sohn den schmachvollen Tod am Kreuz. Er mußte erhöht werden, "damit die Welt durch ihn gerettet wird". (Joh 3, 16)

Hierbei geht es nicht um Bewahrung vor irdischer Not und Bedrängnis, sondern aus Sünde und ewigem Tod. Sein Sterben ist Heilstod, österliches Siegeszeichen, das ewiges Leben verheißt. Es macht uns Mut, uns der irdischen Zukunft zu stellen. Paulus schreibt an die Römer: "Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? (...) Der auferweckt ist, sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Was kann uns schneiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? (...) All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten aus der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns schneiden von der Liebe Christi, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (3, 11 ff.)

Diese Zuversicht hat ungezählte Christen bestärkt, selbst in menschlich auswegloser Lage ihr Vertrauen auf Gott zu setzen. Ein ehemaliger Pilitruk erzählte mir, wie er im Archipel Gulag eines Tages eine Gruppe von Gefangenen zu sich bestellte: "Ihr seid anderes als die anderen. Warum?"Sie gaben zur Antwort: "Wir sind Christen." Dies beeindruckte den jungen Politruk so sehr, daß er sich heimlich eine Bibel besorgte. Er versteckte sie sorgfältig und las immer wieder darin. Die Lektüre bewirkte eine Wende in seinem Leben. Er stellte – noch vor der sogenannten Wende in seinem Leben – den Antrag, aus Armee und Partei entlassen zu werden. Wie er mir erzählte, blieb im Gulag vom Bewachungspersonal niemand normal. Entweder wurden sie Alkoholiker oder sie drehten durch. So mimte er den religiösen "Spinner", aber gerade nur so viel, daß er nicht in einer psychatrischen Klinik landete. Da er eine gute Beurteilung seitens der Partei und der Armee hatte, wurde seinem Ersuchen stattgegeben. Heute arbeitet er beim Fernsehen in Königsberg.

Hinter dem Eisernen Vorhang traf ich mehrmals mit Priestern und Ordensleuten zusammen, die jahrelang im Gefängnis oder Lager waren und immer wieder unmenschlichen Torturen unterworfen wurden. Ein Bischof war nahezu 18 Jahre im Gefängnis und wurde viele Jahre allwöchentlich am Mittwoch gefoltert, weil man sich einen gewaltigen Propagandaerfolg davon versprach, wenn er vom Glauben abfiele. Aber er, wie all die anderen, mit denen ich zusammenkam, lebte in der Überzeugung, "daß die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll". (Röm 8, 18)

Bereits im 2. Buch der Makkabäer haben wir ein lebendiges Zeugnis für den Glauben an die Auferstehung und ein ewiges Leben. König Antiochus zwang die Juden, entgegen dem göttlichen Gesetz Schweinefleisch zu essen. Aber die sieben makkabäischen Brüder waren samt ihrer Mutter bereit, eher zu sterben, als dem Gesetz untreu zu werden. Antiochus ließ sie alle grausam foltern, um sie zum Abfall zu zwingen. Der erste der Brüder sprach in den letzten Zügen zum König: "Du Unmensch! Du nimmst uns dieses Leben; aber der König der Welt wird uns zu einem neuen, ewigen Leben auferwecken, weil wir für seine Gesetze gestorben sind." (2. Makk 7, 9)

Die evangelischen Christen begehen den Karfreitag als höchsten Feiertag, weil unsere Erlösung durch den Kreuzestod erfolgte. Katholiken gedenken selbstverständlich auch des Erlösungstodes Christi im Gottesdienst am Karfreitag, der jeweils zur Todesstunde Christi beginnt. Aber da die Erlösung durch die Auferstehung des Herrn vollendet wurde, ist nach katholischem Verständnis Ostern das höchste christliche Fest, der Triumph des Lebens über den Tod. Was christliches Ostern bedeutet, faßt die betende Kirche in einem einzigen Satz zusammen. In ihrem Ostergebet heißt es voll Freude und Dank: "Gott, du hast durch deinen Sohn den Tod besiegt und uns den Zugang zum ewigen Leben erschlossen."

Wer aus dem Glauben an den Auferstandenen lebt, entfaltet Kräfte, die dem Ungläubigen nicht bekannt sind. Dieser Glaube befähigte Mutter Teresa und ihre Schwestern, sich täglich für die Ausgestoßenen der Gesellschaft zu engagieren. Er ließ den Berliner Domprobst Lichtenberg jahrelang öffentlich für die verfolgten Juden und die anderen Opfer des NS-Regimes beten. Ohne die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod würde für viele das Leben leer und sinnlos.

Die Schauspielerin Hildegard Knef hat diesen Zusammenhang erkannt. In ihrem Buch "Das Urteil" schreibt sie: "Die Welt ist geschwätzig und vorlaut, solange es gut geht. Nur wenn jemand stirbt, dann wird sie verlegen – dann weiß sie auch nichts mehr zu sagen. Genau an dem Punkt, wo die Welt schweigt, richtet die Kirche eine Botschaft auf. Ich liebe die Kirche um dieser Botschaft willen."

Diese Botschaft übernimmt die Kirche von Paulus, der im 1. Korintherbrief schreibt: "Wenn sich dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, erfüllt sich das Wort der Schrift: ’Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?‘" (15, 54)

 

Pater Lothar Groppe SJ war Militärpfarrer und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr sowie zeitweise Leiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan.


 
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