© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Geschichten von der Tante aus dem Kaukasus
Der "Stern" ließ sich nicht nur von der Stasi, sondern auch vom KGB desinformieren
Richard Stoltz

Der Stern ist in den letzten Wochen sehr ins Gerede gekommen. Immer deutlicher erkennen die Zeithistoriker, daß es speziell dieses Hamburger Presseerzeugnis war, das in der Endphase des Kalten Krieges eng mit der Stasi der DDR zusammengearbeitet hat, sich von ihr mit Desinformationen spicken ließ und für Ost-Berlin unermüdlich gut Wetter machte.

Zu erinnern wäre aber daran, daß nicht nur die Stasi, sondern auch ihr großer Bruder, der sowjetische KGB, im Stern ein und aus ging. Man machte gar kein Hehl aus dieser Verbindung, arbeitete ganz offen mit einem KGB-Nachrichtenhändler namens Victor Louis zusammen.

Besonders gern ließen sich die Hamburger von Louis für heimtückische Kampagnen gegen die russischen Dissidenten und Samisdat-Leute einspannen. Den Gipfel bildete jene Stern-Story über den tapferen General Grigorenko, einen Mitarbeiter des Friedens-Nobelpreisträgers Sacharow, den die Sowjets – obwohl Grigorenko geistig völlig gesund war – ins Irrenhaus gesteckt hatten und den die Stern-Leute nun dort "besichtigen" und von dem sie Fotos machen durften.

Ähnliche Storys gab es im Stern auch über den Literatur-Nobelpreisträger Solschenizyn, über den eine "Tante" aus dem Nordkaukasus vom KGB frei Erfundenes und Diktiertes mitteilte. Zum Dank für solche Dienste ließ man Stern-Chef Henri Nannen dann auf der Schreibtischkante von KPdSU-Generalsekretär Breschnew sitzen, und Reporter Bissinger schoß die Fotos von diesem "historischen Moment". Nur zynische Spaßvögel werden solche Szenen wohl als Sternstunden des freien deutschen Journalismus bezeichnen.


 
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