© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    16/01 13. April 2001

 
Wer schützt Verdi?
Oper: "Don Carlo" in Bonn
Julia Poser

Kürzlich ging durch die Presse, daß der Sohn des ungarischen Komponisten Bela Bartok (1881–1945) allen Opernhäusern strikt verboten hat, die Oper seines Vaters "Herzog Blaubarts Burg" in anderer Weise als von diesen geplant aufzuführen. Eine verständliche Reaktion auf das, was sich zur Zeit auch auf deutschen Bühnen abspielt. Aber was passiert mit Komponisten, die keine Kinder oder Enkel haben? Wer schützt Händel, Mozart, Rossini und Verdi vor Verballhornungen profilierungssüchtiger Regisseure?

So empfing den Regisseur David Mouchtar-Samorai nach der Premiere von "Don Carlo" in der Oper Bonn ein wütendes Buh-Konzert des aufgebrachten Publikums. Was war geschehen? Mit dem reifen Alterswerk "Don Carlo" erreichte Verdi einen bisher unerreichten Höhepunkt im musikalischen Drama, das sich deutlich von den früheren Opern abhob, die er nach den Dramen Friedrich Schillers komponiert hatte. Mouchtar-Samorai hatte sich für die vieraktige italienischsprachige Version von 1884 entschieden – für Paris hatte Verdi vorher eine französische Fassung geschrieben – ohne den wichtigen "Fontainebleau-Akt", der die junge Liebe zwischen dem spanischen Infanten Don Carlos und der französischen Prinzessin Elisabeth zeigt. Aus Gründen der Staatsraison heiratete Philipp II. von Spanien dann die Braut seines Sohnes, eine der vielen unglücklichen dynastischen Ehen. In Verdis Oper kommt das in Philipps Arie "Ella giammai m‘amo" (Sie hat mich nie geliebt) herzzerreißend zum Ausdruck.

Was sich in Bonn jedoch auf der mit hohen runden Säulen bestückten Bühne als Einheitsbühnenbild abspielte, war eine Zumutung für den Zuschauer. Aus dem Kaiser Karl V., der sich als Mönch ins Kloster St. Juste zurückgezogen hatte, machte der Regisseur einen schäbig gekleideten Penner, natürlich mit Sonnenbrille, der geschäftig den Boden aufwischte. Während des schwungvollen Schleierliedes der Prinzessin Eboli mußte die bedauernswerte Sängerin ihren Rock über den Kopf ziehen und quasi in der Unterwäsche singen. Noch peinlicher wurde es in der nächtlichen Gartenszene: Don Carlos und die verschleierte Eboli hockten wie zwei tumbe Halbstarke auf dem Boden, und um zu beweisen, wer sie ist, öffnet die Eboli ihr Cape und zeigt dem Infanten die nackten Tatsachen. Auch die große Auseinandesetzung zwischen Philipp und dem Großinquisitor geriet zur Farce. Der König im zerknautschten Nachthemd und einem von zwei Mönchen eher geschleiften als gestützten Großinquisitor in Strickjäckchen und ausgebeulter Hose. Eine der stärksten Szenen der Oper wurde kaputtgemacht. Und so weiter und so fort: ein törichtes Ärgernis folgte dem anderen.

Im Gegensatz zur Regie erfreuten die Stimmen, vor allem die der beiden Frauen. Die junge Georgierin Tamar Iveri als Elisabetta verströmte puren Wohllaut. Den größten Beifall erhielt jedoch Leandra Overgann in der Partie der Eboli. In ihrer großen Arie "O don fatale" (Unglückseliges Geschenk) konnte sie alle Register ihres flammenden Mezzos ziehen. Die Titelrolle sang Endrk Wottrich mit schönem, klaren Tenor. Etwas enttäuschend war der Philipp von Gleb Nikolskij. Vladimir Vaneev als Großinquisitor beeindruckte mit machtvollem Bass. Mit einem glänzend geführten Kavaliersbariton sang Heikki Kilpelainen einen edlen Marquis Posa. Wolfgang Ott am Pult des Bonner Beethovenhallen Orchesters fand echten Verdi-Klang.

Überall soll gespart werden. Warum dann soviel Geld an einen Gastregisseur und ein teures Bühnenbild verschwenden, wenn man mit so guten Stimmen in einer konzertanten Aufführung mehr erreicht hätte?


 
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