© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
Ich bin so frei
Sterbehilfe: Solzialverträgliches Frühableben in Holland gesetzlich geregelt
Alexander Schmidt

Als das niederländische Parlament die aktive Sterbehilfe endgültig legalisierte, ging durch Deutschland ein Aufschrei, der erstaunlich spät kommt. Schon seit den sechziger Jahren kämpft in Holland eine Euthanasiebewegung für die Freigabe der Tötung auf Verlangen, und seit 1990 müssen niederländische Ärzte bei einer "verantwortlichen Sterbehilfe" keine Strafverfolgung mehr fürchten.

Inzwischen sterben dort etwa 4.000 Menschen jährlich den "guten Tod" (griech. Eu-thanatos), wahlweise herbeigeführt durch Verhungern und Verdursten bei Einstellung der Nahrungsversorgung oder Ersticken, wenn todkranken Patienten Zyankali-Giftcocktails verabreicht werden. Seitdem wird das Leben von chronisch Kranken, Koma-Patienten und Kindern durch Ärzte weitgehend straffrei beendet, und auch bei grober Mißachtung der Sorgfaltspflicht werden lediglich Geld- oder Disziplinstrafen verhängt. Diese Praxis ist jetzt in einen gesetzlichen Rahmen gefaßt worden, der in Deutschland die fast eingeschlafene Diskussion um Euthanasie und Hospizbewegung wieder entfacht hat.

Wir wissen jetzt, daß die Schauspielerin Inge Meysel seit dem Urteil "begeisterte Niederländerin" ist und die Pläne für den eigenen Tod schon zurechtgelegt hat. "Ich nehme etwas ein, gehe ganz ruhig in die Elbe und fange an zu schwimmen. Und wenn ich dann nicht mehr schwimmen kann, gehe ich unter. Doch das bekomme ich gar nicht mehr mit, weil ich ja vorher was genommen habe", erzählt sie.

Viel mehr die wörtliche Lebensmüdigkeit als die Angst vor Schmerz scheint die Debatte um den künstlichen Tod zu beflügeln, wenngleich nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutsche Hospiz Stiftung 56,6 Prozent aller Bundesbürger den Einsatz von Pallativmedizin, Schmerztherapien und Sterbebegleitung, der aktiven Sterbehilfe vorziehen.

Frauen und westdeutsche Bundesbürger stehen dem künstlichen Tod bedeutend kritischer gegenüber, während Männer und Mitteldeutsche eher zur aktiven Sterbehilfe tendieren. Die größten Befürworter finden sich nach der Forsa Studie bei PDS-Anhängern (49,4 Prozent) und den Anhängern rechter Parteien (52 Prozent).

Die derzeitige Debatte über den selbstbestimmten Tod gibt einen überraschenden Einblick in das moderne Verständnis von Wert und Aufgabe der menschlichen Existenz. Eine Umfrage, in Auftrag gegeben von der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS), kommt zu dem Ergebnis, daß sich 62 Prozent aller Deutschen für die "Erlösungsspritze" entscheiden würden, wenn sie unerträgliche Schmerzen hätten, 48 Prozent, wenn sie Verrichtungen wie Essen, Atmen oder den Gang zur Toilette nicht mehr ohne Hilfe durchführen könnten, und fast 20 Prozent, wenn sie sich auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen seien. Für 13 Prozent reicht sogar aus, zu schwach zu sein, um das eigene gewohnte Leben weiterführen zu können, um sich von der eigenen Existenz zu verabschieden. Weniger die Schmerzen aber sind es, die einen Menschen dazu bewegen, seinem Leben ein Ende zu setzen, sondern mehr ein selbstdefiniertes Verständnis von Freiheit zum einen und die Unfähigkeit zu Konflikten auf der anderen Seite. Die Nachkriegsgeneration verstand Probleme noch als Herausforderung. Die Bewältigung von Problemen war wesentlicher Inhalt des eigenen Lebens. Das Leid gehört als unbedingter Widerpart zur Freude und wird gerade jetzt durch die Osterbotschaft erneuert: durch Trauer zur Freude, durch Leid zur Erlösung. Heute hat dagegen eine Problemflucht eingesetzt, deren logische Konsequenz der Freitod sein muß, ohne aber in eine wirkliche Freiheit zu führen.

Eine Beziehung wird beendet, wenn der Partner langweilig geworden ist, schlechtes Wetter in Deutschland läßt den postnationalen Deutschen toskanische Landgüter und balearische Villen beziehen und ein vermeintlich nicht mehr als würdig empfundenes Leben berechtigt zur finalen Flucht, um sich vom Leben zu erlösen. Die Flucht hat aber durch den fehlenden Lebensmittelpunkt das Ziel verloren. Erlösung kann nur im göttlichen Heilplan geschehen, nicht aber in der selbstgewählten Einsamkeit, die das Ergebnis eines modernen, ziellosen Freiheitsverständnisses ist.

Freiheit heißt nicht das Infragestellen der menschlichen Existenz aufgrund von Gefühlen und Wünschen, deren Sklave der Mensch damit letztlich wäre. Vielmehr liegt es in der Freiheit des Menschen, zu handeln oder nicht zu handeln, dieses oder jenes zu tun und so von sich aus bewußte Handlungen zu setzen. Wahre Freiheit ergibt sich nur im Einklang mit dem Guten und der Gerechtigkeit, zu dem nicht der künstlich herbeigeführte Tod eines Menschen gehört. Um der scheinbar wachsenden Todessehnsucht, die das zentrale Problem darstellt, zu begegnen, genügt keine Debatte um Konsequenzen der Sterbehilfe. Es geht vielmehr um das Wiederentdecken der Erkenntnis, nicht allein in die Geschichte der Welt hineingeworfen ist, um dort haltlos herumzuirren. Im Mittelpunkt steht die Verantwortung des Menschen, die seinem Leben eine Aufgabe fern von Aktiendepots und Daily-Soaps gibt. Leid darf deshalb nicht als zerstörendes Element, sondern muß als Moment, aus dem Neues entsteht, begriffen werden.


 
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