© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
CD: Jazz
Klangspiele
Michael Wiesberg

Das Tied & Tickled Trio, das eigentlich ein Sextett ist, knüpft mit seiner neuen Scheibe "Electric Avenue Tapes" (Vertrieb EFA-Medien, Frankfurt/Main) nahtlos dort an, wo es mit dem Album "EA1 EA2" aufgehört hat. Die Musik dieses Sextetts gleicht einem Strom, dessen Nebenflüsse schon seit einer Weile konvergieren: elektrischer Jazz, elektronischer Dub, Drum & Bass, Rock-Jazz, Afro-Funk.

Mit dieser experimentellen Melange steht das Musiker-Sextett um die Brüder Micha und Markus Acher nicht allein da. Von den Illbient-Tüftlern über Erik Truffaz bis Bugge Wesseltoft hat sich in vielen internationalen Metropolen eine kreative Subkultur herausgebildet, die die Grenzüberschreitungen von DJ-Culture und zeitgenössischer Improvisation wagt. Die "Electric Avenue Tapes" (Erscheinungsdatum: 21. Mai 2001) können in diese Post-Jazz-Bewegung eingeordnet werden. Die an John Coltrane und Sonny Rollins orientierten Saxophonpassagen von Johannes Enders ergänzen sich mit den elektronischen Klangspielereien von Andreas Gerth sowie den klar strukturierten Klangwelten der Kernformation zu einem spannungsreichen Miteinander verschiedenster Stilauffassungen. Die Musik bleibt in der Schwebe, oszilliert mal zum einen, mal zum anderen Pol, ohne einen der Bereiche zu favorisieren. Beim Hörer bleibt vor allem der Eindruck zurück, daß das Tied & Tickled Trio sein kreatives Potential noch lange nicht ausgeschöpft hat. Man darf auf den weiteren Weg dieses Sextetts deshalb gespannt sein.

Mack Goldsbury ist ein Jazzmusiker, der sich nicht nur auf die Musik beschränken mag. "Die meisten Probleme der Menschen werden durch Gier erzeugt", gab er jüngst zu Protokoll. "Die Menschen wollen einfach alles. Ich mag gierige Leute nicht. Ich denke, wir sollten mehr zu teilen bereit sein." Der von Journalisten als "Jazzaholic" bezeichnete Goldsbury hat seinem Credo Tribut gezollt. Eine Zeitlang mußte er jede Arbeit annehmen, um seiner Leidenschaft treu bleiben zu können. Er hat sich in allen Jazzsparten bewegt und keine Möglichkeit zu spielen ausgelassen. Heute versucht er, wählerischer zu sein. In New York, wohin es ihn für einige Zeit verschlug, leitete er mehrere eigene Bands. Seit Goldsbury in Berlin lebt, ist er zwar nicht mehr als Bandleader tätig, kann sich aber über einen Mangel an Arbeit nicht beklagen.

Er ist laut eigener Aussage einer von denen, die ständig angerufen werden. "Zum Schluß habe ich in New York angefangen, nur noch Projekte mit Leuten zu machen, die mich angerufen hatten", sagte Goldsbury in einem Interview. "Und ich denke, daß es ein Privileg ist, daß andere Musiker wollen, daß du mit ihnen spielst. Es ist eine wichtige Sache, daß sie dich engagieren. Und du lernst eine Menge über die Musik der Leute." Fragt man ihn nach seinen Instrumenten, erwartet einen ebenfalls ein breites Spektrum: "Mein Hauptinstrument ist das Tenor-Saxophon. Ich spielte viele Jahre lang Tenor, dann begann ich, Sopran-Saxophon zu spielen. Aber an das Tenor-Sax kommt nichts heran – bei dem Instrument habe ich ganz besonders das Gefühl, dieses spezielle Instrument sei meine Stimme."

Gerade neu entstanden ist eine beim Starnberger Musikverlag Tutu-Records erschienene Duo-CD mit dem Bassisten Ed Schuller, die live im Berliner Jazzclub "A-Trane" aufgenommen wurde. Titel der CD: "Art of the Duo". Die Kritik hat Goldsbury bereits vorweggenommen: "Und wenn du etwas hörst, das sehr gut ist, das jemand sehr gut kann, dann ist das großartig. Das empfinde ich auch selber so, wenn ich etwas von anderen sehe und höre. Ich hoffe, daß ich das gleiche beim Publikum erreichen kann: Daß es sehr gute Musik ist und daß ich es glücklich gemacht habe, wenn es am Ende aus dem Raum geht."


 
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