© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
Blick zurück nach vorn
Ausstellung: Der Architekturmaler Eduard Gaertner im Berliner Ephraim-Palais
Patrick Neuhaus

Ludwig Justi, ab 1909 Direktor der Nationalgalerie, nannte Eduard Gaertners Gemälde einmal "köstlich", man freue sich daran, "wie das alles klug und erfahren und sauber und fleißig und hübsch auf die Leinwand gebracht" sei, so kann man in seiner elf Jahre später veröffentlichten "Deutschen Malkunst im neunzehnten Jahrhundert", einem Führer durch die Sammlung der Nationalgelerie, lesen. In jener spürbaren Ironie mag ein wenig die Unlust mitklingen, sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, dessen Verlust zugleich die Emanzipation des Hauses nach außen merklich förderte, mit den von den Hohenzollern bevorzugten Stilrichtungen in der Malerei zu solidarisieren.

Justi stand mit vielen anderen für eine neue, der modernen Malerei förderliche, staatliche Sammlungs- und Ausstellungspolitik der Nationalgalerie und konnte seinen Groll über die früheren Interventionen Wilhelms II. nicht verhehlen. Er sah bekanntlich seine Aufgabe gerade nicht in der Aufarbeitung der Biedermeier-Malerei berlinischer Prägung, wie sie Gaertner neben Franz Krüger und anderen mitverkörpert, vielmehr in der Würdigung der modernen deutschen und französischen Malerei seit 1870 und der von ihm ausgemachten Vorläufer.

War überhaupt, gerade nach 1918, ein schlimmerer Vorwurf an einen Künstler denkbar, als jener, "erfahren, sauber und fleißig" zu sein? Eine ganz ähnliche, knappe und ebenso klischeehafte Charakterisierung gab früher auch Franz Kugler, welcher anläßlich der Berliner Akademie-Ausstellung von 1848 über den Romantiker Gaertner lediglich schrieb: "Unter den Architekturmalern nenne ich Gaertner in seiner so bescheidenen wie sorgfältigen, ob auch nüchternen Weise."

Schon früher war Eduard Gaertner, der, in Berlin geboren, von 1801 bis 1877 lebte, und den gegenwärtig das Stadtmuseum Berlin anläßlich seines 200. Geburtstages erstmalig mit einer umfassenden Retrospektive mit Leihgaben auch aus dem Ausland würdigt, von der Kritik geradezu übergangen worden. Zwischen 1872 und 1906 war er so gut wie überhaupt nicht auf Ausstellungen vertreten. Die Akademie, der er seit 1833 angehörte, ignorierte ihn in ihrer Jubiläumgsausstellung anläßlich ihres hundertjährigen Bestehens von 1886 völlig. Erst die unlängst umfassend aufgearbeitete "Deutsche Jahrhundert Ausstellung" von 1906 in Berlin zeigte drei seiner bedeutendsten Werke, darunter "Innenhof des Kgl. Schlosses zu Berlin" von 1837, "Kaiserliches Winterpalais, St. Petersburg" und "Kgl. Schloß, Berlin". G. J. Kern wies dem Künstler in seinem damaligen "Erinnerungsblatt" immerhin "den ersten Platz unter den älteren Berliner Architekturmalern" zu und würdigte ausdrücklich den hohen dokumentarischen Wert gerade seiner Berlin-Veduten bzw. Panoramen, die ihm zu Lebzeiten viel Beachtung einbrachten, aber da sie – anders als heute – eben im wesentlichen das abbildeten, was auch den Zeitgenossen sichtbar war, auch Desinteresse verursachen mußten.

Wie Helmut Börsch-Supan in seinem Katalogbeitrag über die Rezeption Gaertners vermutet, wirkte aber im allgemeinen wohl noch lange die zurückhaltende Persönlichkeit des Künstlers nach, die trotz seiner unverkennbaren Leistung und seines Erfolges gerade am Hofe weder zu einem wirklichen Durchbruch an der Akademie noch zu literarischer Beschäftigung zu Lebzeiten Anlaß bot. Seine früher vernachlässigten Werke müssen uns heute geradezu als Glücksfall erscheinen, legen sie doch, neben anderen Sujets, Zeugnis verschwundener Stadtkultur und -gestalt in Preußen ab.

Gaertner machte seit 1814 parallel zu Zeichenstunden an der Akademie eine Lehre als Porzellanmaler an der Königlichen Porzellanmanufaktur, wo er 1821 für ein Jahr angestellt blieb. Schon hier stellte der Künstler sein auch in späteren Werken unverkennbares handwerkliches Können, aber auch die minutiöse Behandlung der Lichteffekte, den humorvollen Umgang mit Staffage, mit Farben, in einer nicht aufdringlich-penetranten, sondern gelegentlich ob ihrer Gesamtatmosphäre gar anrührenden Malweise unter Beweis, worin sich wahrhaft disziplinierte Arbeit manifestiert. Gaertner ist weithin bekannt als ein Maler des steinernen Berlins, wie es rudimentär noch bis zu den Zerstörungen des letzten Krieges erkennbar war und als vergeistigtes Erbe mancherorts Gelüste einer stellenweisen Rekonstruktion weckt.

Unbekannter und um so interessanter wird dem Betrachter sicher der Künstler erscheinen, welcher in nicht nur Orte in Brandenburg, wie Potsdam, Anhalt, die preußischen Provinzen im Osten, sondern auch Böhmen, Petersburg und Moskau besuchte und dokumentierte. Die ausgestellten Ansichten von Thorn, Breslau, Gollub, der Marienburg, von Allenstein, des Ordensschlosses von Marienwerder aber stellen unschätzbare Dokumentationen des Ostens dar, wie sie in solcher Fülle und überragenden Qualität in Atmosphäre sonst kaum zu sehen sind.

Eine umfassende Gaertner-Ausstellung im mühsam geklammerten Berlin der Gegenwart wirft die Frage auf: Wem nutzt die Ausstellung? Natürlich im besonderen den Liebhabern Berliner Malerei und Geschichte, aber auch denen, die die Phantasie derjenigen beflügeln möchten, die heute noch an Sinn und Zweck der Erinnerung zweifeln. Sie ist hochpolitisch und wird Gelüste nach der Rückholung von vernachlässigten Stadtstrukturen, Milieus, physisch verlorengegangenem Stadtschloß, Kommandantur (Bertelsmann baut schon), Garnison-Kirche in Potsdam wecken. Sie ist der Ausdruck eines weit verbreiteten Harmoniestrebens.

Gaertner aber eignet sich nicht nur zur Rückschau auf das zu Teilen – auch in der Gesellschaft – Verlorene, gar auf das Bürgerliche. Sondern, wie Helmut Börsch-Supan treffend formuliert: "Einen Nutzen hat die Historie nur, wenn sie zum Nachdenken anspornt, wie heute Urbanität wiederhergestellt und die Explosion der Stadt vermieden werden kann." Der Künstler wird zum Kronzeugen einer im Gedächtnis fast verschwundenen Stadt, die umherirrt, sich neu zu finden.

 

Eduard Gaertner 1801–1877. Die Ausstellung ist bis zum 4. Juni im Ephraim-Palais, Poststr. 16, in Berlin zu sehen. Der reich illustrierte Katalog kostet in der Ausstellung 49 Mark.


 
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