© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    17/01 20. April 2001

 
Neulich im Internet
Optimist Orwell
Erol Stern

Im Roman "1984" beschrieb der Autor George Orwell 1948/49 einen totalitären Überwachungsstaat. Seither wurde vielfach Bilanz gezogen, mit dem Ergebnis, daß die Realität die Fiktion übertroffen hat, heutige Kommunikationstechniken bieten nämlich noch bessere Möglichkeiten: Durch meine ISDN-Anlage und Telefone eines namhaften deutschen Herstellers sowie den D-Kanal bräuchte man nicht einmal eine Wanze zu installieren. Das ARD-Wirtschaftsmagazin "Plusminus" hat kürzlich demonstriert, wie das auch mit dem Laptop der rüstungspolitischen Sprecherin Angelika Beer (B90/Grüne) möglich ist, wenn er mit dem ISDN-Netz verbunden ist. In einer gefälschten eMail-Virenwarnung wurde sie aufgefordert, ein "Schutzprogramm" in der Anlage zu öffnen. Dieses "Trojanische Pferd" übermittelte via ISDN die Rufnummer. Nun konnte der PC von außen angewählt und über das eingebaute Mikrofon abgehört werden. Das Internet wird auch für "Privatanwender" zur Fundgrube: Detektive (digdirt.com) finden, von US-Firmen beauftragt, lückenlose Profile über deren Mitarbeiter und Bewerber heraus, US-Präsident Bush verzichtet auf private eMails, Schutzgelderpressungen finden zunehmend online statt und unter kunde-zahlt-nicht.de kann man demnächst säumige Schuldner anprangern. Zudem gibt fast jeder von uns bei der Anmeldung eines Freemailkontos bereitwillig intime Daten preis. Die Frage, inwieweit die Regierung hierzulande Überwachung betreiben darf oder soll, muss, angesichts steigender Internetkriminalität, wohl jeder für sich beantworten, "denkanstößt" Euer Erol Stern


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen