© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001


Chinesische Aussichten
von Ivan Denes

Willkommen in der Vergangenheit" – so schildert Wladimir Gussinski in einem AP-Interview die politische Lage, die in Rußland nach der putschartigen Zerschlagung seines Media-Most-Konzerns entstanden ist. Zwar gibt es noch einige – schwächere – Sender und Zeitungen in Rußland, die nicht mit dem Kreml konform gehen, aber unter Wladimir Putin wird es keine Meinungsfreiheit geben. Offen fordert jetzt die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta die Einführung der Zensur. Das gab es formell selbst in der Sowjetunion nicht. Das chinesische Modell läßt grüßen: freie Marktwirtschaft und erdrosselte Meinungsfreiheit. Gussinski mag einer der ruchlosen Oligarchen sein, von denen es nicht ratsam ist, ein gebrauchtes Auto zu kaufen. Aber der flächendeckende Fernsehsender NTW, die Tageszeitung Sewodnja und das Nachrichtenmagazin Itogi, die zu seinem Medienimperium gehörten, waren professionell und von höchster Qualität.

Nun versucht man die Most-Medien in der üblichen Weise zu verunglimpfen – sie seien lediglich "Außenstellen" von US-Nachrichtenquellen. Auch das ist ein notorischer "Evergreen" – auch wenn Itogi mit Newsweek verbandelt ist. Gussinskis "Erbsünde" war nicht die Kritik an der Korruption, der Unfähigkeit des Staatsapparates und dem Verfall der Sitten. Seine Erbsünde beging er im Herbst 1999, als er, damals noch Präsident des Russischen Jüdischen Kongresses, den zweiten Tschetschenien-Krieg öffentlich als Völkermord anprangerte. Es war und ist ja Putins ganz persönlicher Krieg.
 
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