© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Lebenslügen
Nachruf: Zum Tod des Journalisten Emil Carlebach
Werner Olles

Am 9. April starb im jüdischen "Henry und Emma Budge"-Altenheim in Frankfurt am Main im Alter von 86 Jahren der Journalist Emil Carlebach. Im Dritten Reich von den Nationalsozialisten, die auch seine Eltern ermordeten, verfolgt und in mehreren Konzentrationslagern inhaftiert, gehörte der KPD-Funktionär Carlebach als Kapo im KZ Buchenwald der illegalen kommunistischen Widerstandsorganisation an, die unter den Häftlingen als eine Art geheime "Lagerleitung" galt. In dieser Funktion soll er – so lauteten die von früheren Mitgefangenen erhobenen Vorwürfe, gegen die er sich erfolglos mit Prozessen wehrte – den Tod abweichlerischer trotzkistischer Genossen auf dem Gewissen haben.

1945 war Carlebach einer der sieben Gründungslizenznehmer der Frankfurter Rundschau (FR). Zwei Jahre später wurde er jedoch von den Amerikanern, denen er als überzeugter Kommunist ein Dorn im Auge war, gezwungen, seine Lizenz an den ehemaligen Trotzkisten Karl Gerold abzugeben, der die FR dann bis zu seinem Tod als Herausgeber leitete. Carlebach, inzwischen hoher Funktionär der SED/DKP-gesteuerten "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN), fungierte als Chefredakteur der VVN-Wochenzeitung Die Tat, in der er bis zu ihrem Aufgehen in der Deutschen Volkszeitung (DVZ) einen strikt orthodox-antifaschistischen Kurs hielt.

Auch im Vorstand der IG Druck und Papier und der Deutschen Journalisten-Union war der durch die Schule des Marxismus-Leninismus Moskauer Prägung gegangene Funktionär in den siebziger Jahren streng darauf bedacht, linksradikale Konkurrenten maoistischer Provenienz mit allen Mitteln niederzuhalten und nötigenfalls mit schmutzigen Tricks aus der Gewerkschaft hinauszusäubern. Weniger erfolgreich verlief dagegen der "Kampf gegen Rechts". Seinem Antrag, dem Schriftsteller Ernst Jünger den 1982 von der Stadt Frankfurt verliehenen Goethe-Preis wieder abzuerkennen, vermochten nicht einmal die eigenen Genossen mehr zu folgen. Auch die von seiner VVN initiierten "Antifa-Demos", auf denen sich jugendliche "Antifaschisten" in gestreifter KZ-Insassenkleidung präsentierten, lösten bei immer mehr Linken erheblichen Widerwillen aus.

Anders als bei der Mehrzahl der linken Intelligenz, die die systematische Austreibung ihrer Ideale in manchen Fällen gar als heilsame Zerstörung einer grotesken Lebenslüge erlebte, lösten der Fall der Berliner Mauer und die deutsche Wiedervereinigung bei ihm keine Ratlosigkeit aus. Mal kitschig, mal pathetisch beschwor er noch einmal die alten existentiellen Lügen.


 
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