© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Kein neues Luxemburg auf dem Balkan
Montenegro: Über 40 Prozent gegen die Unabhängigkeit / Pattsituation nach der Wahl / Referendum vertagt
Carl Gustaf Ströhm

Noch bevor sich die Staubwolke über den jüngsten Wahlen in Montenegro geleg hat, hört man bereits die Frage, ob beim Ergebnis nicht auswärtige – sprich ausländische – Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt haben. Wie kommt es, daß der amtierende Präsident und Befürworter montenegrinischer Eigenstaatlichkeit, Milo Djukanovic, der zunächst ganz sicher mit einer absoluten Mehrheit von über 50 Prozent und sogar mit einer Zweidrittelmehrheit gerechnet hatte, nun bei relativ mageren 42,05 Prozent steckengeblieben ist, während das Belgrad-treue Bündnis "Gemeinsam für Jugoslawien" ihm mit 40,6 Prozent auf den Fersen folgt? Im künftigen Parlament in Podgorca wird das Bündnis "Sieg von Montenegro" mit 35 von 77 Sitzen zwar die relative, nicht aber die absolute Mehrheit stellen. Um diese zu erreichen, müßte Djukanovic mit den sechs Abgeordneten des Liberalen Bundes, der 7,65 Prozent erzielte, und eventuell mit den drei Abgeordneten der Albaner zusammengehen. Eine Zweidrittelmehrheit, die ihm die Durchführung einer Volksabstimmung erheblich erleichtern würde, hat er auch dann nicht.

In Montenegro, das eine bedeutende serbische Minderheit hat, bleiben die pro-serbischen Kräfte stark – und so droht eine Patt-Situation zu entstehen, womöglich mit heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen. Was immer geschieht, kann sich jetzt negativ auswirken: Eine Abspaltung Montenegros von Rest-Jugoslawien, die von über 40 Prozent der Wähler – darunter auch viele Montenegrier – abgelehnt würde, ist problematisch. Der erste Zwist ist absehbar: Predrag Bulatovic, Chef des pro-jugoslawischen Blocks, hat letzten Montag seinen Vertretern in der Wahlkommission die Anweisung gegeben, die Wahldokumente nicht zu unterzeichnen, meldete die Zeitung Vijesti. Aber auch der Liberalen-Chef Miodrag Zivkovic zweifelte die Wahl an. Er begründete seine Ablehnung der Ergebnisse mit einem angeblichen Geheimabkommen zwischen Bulatovic und dem Wahlbündnis von Djukanovic. Mindestens ebenso fragwürdig aber wäre eine Fortsetzung des bisherigen Bundesstaates, den fast 50 Prozent der Montenegriner (Djukanovic-Anhänger plus Liberale) nicht akzeptieren wollen.

Ähnlich wie vorher schon in Kroatien und Serbien haben auch jetzt in Montenegro westliche, vor allem US-"Wahlhelfer" kräftig mitgemischt – und zwar nicht zugunsten von Djukanovic, dessen Separationskurs der Westen ablehnt. Diese Aktivitäten ungebetener westlicher Wahlhelfer haben in Montenegro ihre ganze Fragwürdigkeit enthüllt. Der Westen hat durch seine einseitige Parteinahme für die pro-serbischen Kräfte – über die sich Djukanovice mehrfach beklagte – jene Pattsituation mit verursacht, die jetzt zu immer neuen Schwierigkeiten und womöglich Zusammenstößen führen muß. Unter dem fragwürdigen Argument, daß auf dem Balkan keine neuen "Mini-Staaten" entstehen sollten, hat man eine Lösung forciert, die "weder Fisch noch Fleisch" ist. Das bedeutet, daß die Konflikte nicht ausgeräumt, sondern bestenfalls auf morgen vertagt wurden. Daß Djukanovic, der ursprüngliche "Liebling" des Westens, von eben diesem Westen schmählich fallengelssen wurde, weil man ihn nach dem Fall von Slobodan Milosevic nicht mehr benötigt – und daß der Westen seine Sympathien über Nacht auf Belgrad konzentriert –, gehört zu den weniger schönen Seiten zeitgenössischer Balkanpolitik.

Djukanovic hat jetzt als Ergebnis seines "Pyrrhus-Sieges" erstmals angedeutet, daß das für 13. Juli geplante Referendum verschoben werden könnte. Das aber könnte der Anfang vom Ende für den angeblich siegreichen, in Wirklichkeit aber verlassenen montenegrinischen Präsidenten und ein unverhoffter Sieg für Belgrad sein. Ein zweiter Berliner Kongreß – der 1878 unter der Leitung von Otto von Bismarck die Machtverhältnisse auf dem Balkan neu festlegte und Montenegro als unabhängigen Staat anerkannte – ist nicht in Sicht.


 
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