© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Einzug in Persepolis
von Günter Zehm

Daß Gerhard Schröder nur unter Bauchgrimmen in das neue Bundeskanzleramt im Berliner Spreebogen eingezogen ist, läßt sich nachvollziehen. Das Ding ist ein Ärgernis, an das man sich schwer wird gewöhnen können. Es fehlt ihm jede Lässigkeit, jede Intimität, und es steht quer zur Tradition. Statt maßvoller, von den Griechen inspirierter Klassizität grober Orientalismus, statt Perikles Pharao beziehungsweise Persepolis. Die Spätphase, die Verfallsphase der Ära Kohl hat ihren Daumen ins Weichbild der Stadt gedrückt.

Axel Schultes, der Baumeister, ist berühmt geworden durch ein Museum in Bonn und ein Krematorium in Berlin-Treptow. Und genau das spiegelt sich in seinem Kanzleramt wider: Melange aus Museum und Krematorium, zusätzlich armiert durch Sicherheitsanlagen, die vor Terroranschlägen schützen sollen, und – gleichsam als Ausgleich dafür – "durchflutet" von modischer Glasfenster- und Lichtideologie, die eine Art Kurpark-Atmosphäre schafft.

Bleibt zu hoffen, daß der fleißige Gebrauch des Hauses allmählich zu gewissen praktischen Veränderungen führt, die die ursprüngliche Bauidee abschleifen und ins Gemütlichere wenden: innere Umbauten und vielleicht einst auch äußere Anbauten, individualistische Meublements, viele schöne Plastiken und Bilder aus der Zeit vor 1900, auf denen es viele Einzelheiten zu sehen gibt. Das von den Bauherren angepeilte Allgemeine, "Repräsentative" sollte sich gründlich mit dem konkreten Einzelnen mischen.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen