© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Vom Sprachschützer zum Antisemiten
Hochschulen: Ein Seminar zur "Anglisierung/Amerikanisierung der deutschen Sprache" hat am Berliner Otto-Suhr-Institut eine heftige Kontroverse ausgelöst
Thorsten Thaler

Am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin steht, pünktlich zum Semesterbeginn, eine Polit-Groteske auf dem Lehrplan. Das gespielte Stück zeigt exemplarisch, wie aus einem linksliberalen Hochschulprofessor, einst Schüler von Adorno und Mitglied der Grundwertekommission beim SPD-Parteivorstand, in den Augen politisch korrekter Diskurswächter unversehens ein "Rechtsradikaler" und "Antisemit" werden kann.

Da bietet der emeritierte Politikwissenschaftler Fritz Vilmar, Mitglied im "Verein deutsche Sprache" (VDS), zusammen mit dem zweiten Vorsitzenden des VDS, Horst Hensel, ein Seminar zur Überfremdung der deutschen Sprache durch Anglizismen an. Im kommentierten Vorlesungsverzeichnis der FU heißt es dazu: "Das Seminar geht aus von der Tatsache der weitreichenden Anglisierung/Amerikanisierung der deutschen Sprache, die – für zwei Drittel der Deutschen kaum verständlich – die (Alltags-)Kultur prägt. Es versucht, die soziopolitischen Ursachen und Auswirkungen dieses partiellen Sprachverfalls im einzelnen zu klären. Auszugehen ist dabei von der westdeutschen Tendenz nach der nationalsozialistischen Katastrophe, sich bereitwillig der kulturellen, politischen und ökonomischen Dominanz der USA unterzuordnen. (…) In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen negativer nationaler Identität von Funktions- und Positions-Eliten zu analysieren." Angeboten wird das Seminar an drei Tagen, am 20. April, 25. Mai und am 6. Juli.

Unter den Studenten ist das Interesse an diesem Seminar offenkundig sehr groß. Zum ersten Termin am 20. April hätten sich über 50 Teilnehmer eingefunden, bestätigte Fritz Vilmar gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Veranstaltung sei ohne Zwischenfälle verlaufen.

Doch schon die Ankündigung im Vorlesungsverzeichnis genügte, um am OSI für Unruhe zu sorgen und hektische Aktivitäten auszulösen. So schrieb der Dozent und ehemalige Mitarbeiter im "Forschungsverbund SED-Staat" der FU, Martin Jander, einen Offenen Brief, in dem er Vilmar "Antiamerikanismus" sowie deutsche Vorurteile gegen die westliche Moderne vorwirft. Außerdem bezichtigt er den Hochschullehrer rechtsradikaler Umtriebe. Diesen Brief verteilte Jander vor Semesterbeginn, zusätzlich legte er ihn in alle Postfächer am OSI.

Der Lehrbeauftragte schreibt darin, wie er die Ankündigung Vilmars im Vorlesungsverzeichnis liest: "Nicht der Nationalsozialismus hat nach 1945 bei den Tätern und ihren Nachfahren Probleme mit der nationalen Identität bis hin zu ihrer Sprache hervorgerufen, sondern ihre freiwillige Unterordnung unter die angebliche ökonomische, politische und kulturelle Hegemonie der USA. (…) Der Text nimmt einen wesentlichen Topos des Antiamerikanismus (…) auf: Das Bild von der Zerstörung ’deutscher Hochkultur‘ durch ’amerikanische Unkultur‘."

Die Ankündigung Vilmars, schreibt Jander weiter, erinnere ihn an einen Vortrag des einst linksradikalen OSI-Angehörigen Bernd Rabehl vor einer "rechtsradikalen" Burschenschaft. Das i-Tüpfelchen setzt Jander in seinem P.S: "Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, daß das Seminar ausgerechnet am 20. April 2001 beginnt? Adolf Hitler wäre heute 112 Jahre alt geworden."

Janders Verweis auf den Soziologen Bernd Rabehl bezieht sich auf dessen Vortrag über "Symbol und Mythos" der 68er-Bewegung vor der Münchner Burschenschaft Danubia Anfang Dezember 1998. Rabehl, als enger Freund und Wegbegleiter Rudi Dutschkes eine Galionsfigur der protestierenden Studenten an der FU, hatte darin die Bedeutung der nationalen Frage für die 68er-Revolte thematisiert und sich mit der drohenden Überfremdung Deutschlands beschäftigt (JF 52-53/98). Die Rede löste am Otto-Suhr-Institut ein Kesseltreiben gegen Rabehl aus; Kollegen rückten ihn in die Nähe der Unzurechnungsfähigkeit, Flugblätter forderten dazu auf, ihm die Lehrbefugnis zu entziehen, Studenten und universitätsfremde Jugendliche sprengten ein Hauptseminar Rabehls und attackierten ihn körperlich (JF 27/99).

Soweit geht es bei Fritz Vilmar noch nicht. Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT zeigte er sich von der "Irrationalität der Kritik" überrascht. Er sei sehr vorsichtig bei der Verwendung des Begriffs "faschistoid", sagte Vilmar, aber "es geht in diese Richtung". Gegenüber der taz hatte er zuvor die Kritik Janders als "Brunnenvergiftung" bezeichnet. In einem Brief an den Dekan des Instituts, Eberhard Sandschneider, schrieb Vilmar, sein Seminar stelle "die Weltoffenheit und Modernität des OSI" unter Beweis.

Was mit dieser Erwiderung sein Bewenden hätte haben können, fand eine unrühmliche Fortsetzung in einer Pressemitteilung des Bundesvorstandsmitglieds der neugegründeten Gewerkschaft Verdi, Frank Kornberger. Darin erklärte der Kommunikationswissenschaftler, der von Vilmar gewählte Begriff "Brunnenvergiftung" sei "ein direkt antisemitischer Vorwurf, der im Mittelalter fester Bestandteil des christlich-jüdischen Denksystems und Rechtfertigung zahlreicher Pogrome war". So wird flugs aus einem Sprachschützer erst ein Antiamerikaner, dann ein Rechtsradikaler und Antisemit.


 
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