© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Ausbildung statt Einwanderung
Arbeitsmarkt: Schweiz und Österreich setzen auf eigene Landsleute / Programme gegen Massenarbeitslosigkeit
Ronald Gläser

In einer kürzlich erschienenen Studie wurde Deutschland zum wiederholten Male nur eine mittelmäßige Vorbereitung auf das anbrechende Online-Zeitalter bescheinigt. Allen Anstrengungen von Regierung und Wirtschaft zum Trotz wurde der Standort Deutschland nur mit dem achten Platz versehen. Dabei widersprechen sich die Mitteilungen aus den Unternehmen der technikbasierten Branchen gewaltig.

Zum einen stehen überall Entlassungen an. Zum anderen wird seitens der deutschen Industrie immer wieder der Fachkräftemangel beklagt. Auch andere technisch dominierte Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau oder Elektroindustrie beziffern die Zahl der fehlenden Ingenieure auf bis zu 10.000. Abhilfe soll die Vergabe der Grünen Karten an ausländische Arbeitnehmer schaffen. Masseneinwanderung läßt sich einfach schneller bewerkstelligen als die Ausbildung eigener Ingenieure, Informatiker oder IT-Experten. Und billiger ist es obendrein, weil sich "Computerinder" mit geringeren Gehältern abspeisen lassen als heimische Arbeitnehmer.

Für das andere, härtere Modell hat sich jetzt die Schweiz entschieden. 2002 soll ein Regierungsprogramm in Kraft treten, das die Aus- und Weiterbildung in den Berufen der Neuen Ökonomie vorantreiben soll. 100 Millionen Franken werden in vier Jahren investiert, um die eigenen Landsleute zu Spezialisten in Informations- und Kommunikationstechnologien zu machen. Die Kosten teilen sich die Wirtschaft und der Staat.

Auch in der Schweiz fehlen schätzungsweise 10.000 Informatiker, und es wurde berechnet, daß jährlich voraussichtlich weitere 5.000 bis 8.000 Neueinsteiger benötigt werden. Mit der Weiterbildungsoffensive sollen vor allem Quereinsteiger für die IT-Branche gewonnen werden. Gemeinsam mit der Industrie hat das Schweizer Bundesamt für Bildung und Technologie eine zeitlich befristete Weiterbildungsstruktur entwickelt, die eine sinnvolle Ergänzung von Theorie und Praxis ermöglicht. 30.000 Spezialisten werden von Unternehmen zeitweise als Dozenten zur Verfügung gestellt, um ihr Fachwissen zu vermitteln. Rein theoretische Kenntnisse wären in einer so schnellebigen Branche weniger nutzbringend.

Das ganze Programm ist für die kleine Schweiz eine gewaltige Kraftanstrengung. Sie kopiert damit, teilweise bis ins Detail, das US-Bildungsmodell. Der Erfolg der amerikanischen Wirtschaft seit Beginn der neunziger Jahre ist auf ein ähnliches Qualifizierungskonzept zurückzuführen. Nicht die "Green Card"-Einwanderer nach Silicon Valley haben den Boom der Clinton-Jahre verursacht. Einwanderung in die Vereinigten Staaten ist ja schließlich keine Erfindung des Internetzeitalters.

Vielmehr wird seit Jahren gezielt dafür geworben, Aus- und Weiterbildungen in Hightech-Bereichen anzustreben. Und der Begriff des "lebenslangen Lernens" wurde in den USA zum Schlagwort, wo beispielsweise viele Erwachsene Universitätskurse an den Community Colleges absolvieren. Deshalb ist die US-Wirtschaft heute allen Unkenrufen zum Trotz erfolgreich.

Auch Österreich setzt bei der Bewältigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt auf die eigenen Landsleute. Das Renten- und Pensionsalter wurde von der schwarzblauen Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel herauf- und die Studienzeiten herabgesetzt. Das Kinderbetreuungsgeld vereinfacht für junge Frauen die Kombination von Familie und Beruf. Die Alpenrepublik glänzt auch deshalb mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit ganz Europas. Trotzdem wurde auch in Österreich ein Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern errechnet. Deswegen sollen zusätzliche Weiterbildungsmaßnahmen die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft stärken. Erstmals rückt angesichts einer Arbeitslosenrate von weniger als vier Prozent eine Lösung der Arbeitsmarktmisere in greifbare Nähe. Trotzdem fordern Wirtschaftsverbände eine Zuwanderung von Fachkräften, die die Regierungspartei FPÖ rigide ablehnt. Dafür bilden die österreichischen Grünen jetzt die politische Speerspitze für die Großkonzerne und fordern mehr Zuwanderung und sofortige Freizügigkeit für die Einwohner der neuen EU-Mitglieder. Mit Blick auf Polen, wo einer Umfrage zufolge jeder Dritte in einen der reichen EU-Staaten ziehen will, scheint dies besonders prekär.

In Deutschland sieht die Lage ganz anders aus: Selbst die CDU und der DGB verleugnen die Interessen ihrer jeweiligen Klientel und fordern mehr Zuwanderung. Der Kanzler möchte neben ausländischen Studenten noch mehr Arbeitnehmer ins Land holen etwa für den Maschinenbau. Nur der Kinderschutzbund und der ehemalige Verfassungsrichter Kirchhof setzten sich jüngst für eine aktive Familienpolitik ein.


 
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