© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Meldungen

Nach zehn Jahren Reform dem Zerfall nahe

AACHEN. Rußlands Wissenschaft sei dem Zerfall näher als der Gesundung. Zu diesem Befund gelangt der Wiener Sozialwissenschaftler Manfred Füllsack in einer Analyse für Osteuropa (Heft 1/01). Im Verlauf von zehn Jahren postsowjetischer Reformen sei der Anteil der Grundlagenforschung an wissenschaftlicher Tätigkeit rapide gesunken. Die Institute konzentrieren sich auf angewandte, verkaufbare Forschung. Langfristige Projekte wage kaum noch jemand ins Auge zu fassen. Der russischen Forschung drohe so die kulturelle und theoretische Basis abhanden zu kommen. Der Unterschied bei Arbeits- und Einkommensverhältnissen zwischen Wissenschaftlern, die "angewandte" bzw. "reine" Forschung betreiben, zerstöre zudem den kollegialen Zusammenhalt und lädiere die Reputation der Grundlagenforscher, deren Arbeit nur noch 14 Prozent der Russen für sinnvoll halten.

 

Gedächtnis der Nation: NDB-Band 20 liegt vor

MÜNCHEN.Der Germanist Rochus von Liliencron hatte die Titanenarbeit einer "Allgemeinen Deutschen Biographie" (ADB) noch als redaktioneller Einzelkämpfer bewältigt. Zwischen 1873 und 1912 trug er das Material für die 56 Bände zusammen, die heute in jeder großen Bibliothek Auskunft über alle Deutschen geben, deren Lebensleistung man im Gedächtnis der Nation bewahren wollte. Seit 1953 wird das Kompendium erweitert: Auf die ADB folgt die "Neue Deutsche Biographie", die nach fast fünfzig Jahren erst beim Buchstaben P und 18.000 Biographien angelangt ist. Dieser zwanzigste Band wird am 8. Mai in einer Feierstunde in der Bayerischen Staatsbibliothek präsentiert. Es sprechen u. a. der Bismarck-Biograph und derzeitige Präsident der Historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Lothar Gall ("ADB und NDB als wissenschaftliche Langfristaufgaben") sowie der Leiter des Verlages Dun-cker&Humblot, Norbert Simon, über das biographische Lexikon als "Herausforderung des Verlegers".

 

Eigenwillige Deutungen der Vertreibung

SEELZE. Der Marburger Osteuropahistoriker Eduard Mühle setzt in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (Heft 4/01) seinen Literaturbericht über Neuerscheinungen zur Geschichte des ostmitteleuropäischen Raumes fort. Darin werden auch neuere Werke zur Vertreibung kritisch gesichtet. Mühle wettert gegen jene "Pseudoforschung im Umfeld der Vertriebenenverbände", die von "deutscher Täterschaft" ablenke und Deutsche in eine "allgemeine Opferrolle" versetze. Dagegen versucht er seinerseits fragwürdig gewordene (siehe nebenstehende Sammelrezension) Klischees als jüngsten Forschungsstand zu präsentieren. So strapaziert er jene volkspädagogisch kurzschlüssige Kausalität zwischen "ursächlicher Schuld der Deutschen an den Katastrophen des 2. Weltkrieges", deutschem "Besatzungsterror" und "der Vertreibung der Deutschen aus dem östlichen Mitteleuropa"(nicht etwa primär aus Deutschland!).

 

MGFA-Historiker sieht Heusinger zu positiv

ALFEN. General a.D. Klaus Naumann, Vorsitzender der Clausewitz-Gesellschaft, wirbt gerade für die Subskription einer Biographie Adolf Heusingers, des ersten Inspekteurs der Bundeswehr. Der Beirat des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) hat das Werk des MGFA-Historikers Georg Meyer als "nicht wissenschaftlich fundiert" eingestuft und den Druck als MGFA-Publikation abgelehnt, weil es Heusingers Wehrmachtszeit zu einseitig darstelle. Diese erneute Zensur korrespondiert mit Zumutungen des Scharping-Ministeriums, dem Verband deutscher Soldaten in seiner Zeitschrift Soldat im Volk einen gegen Wehrmachtstraditionen gerichteten "Gesinnungswandel" nahezulegen.


 
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