© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Ein Madrider Spiel mit hohem Risiko
Baskenland: Bei den Regionalwahlen soll die "baskische CSU" – die EAJ/PNV – ihre Macht verlieren
Charles Brant

Bei den Wahlen am 13. Mai will die Madrider Regierung die Baskische National-Partei EAJ/PNV (Euz-ko Alderdi Jeltzalea/Partido Nacionalista Vasco) nach zwanzig Jahren baskischer Autonomie entmachten – ein gefährliches Spiel. Um den EAJ/PNV abzulösen, der in der Hauptstadt Vitoria (Alava) regiert, ist dem spanischen Premier und Chef der Volkspartei (PP), José-María Aznar, jedes Mittel recht. Sogar mit den Sozialisten des PSOE und dessen baskischem Flügel, dem PSE, wäre er zu koalieren bereit. Eifrig hat er sich um einen Antiterrorismus-Pakt bemüht und versucht, die Ablehnung des Terrorismus in der Bevölkerung für seine Zwecke zu nutzen. Noch Anfang März konnte die Volkspartei bei Umfragen gute Ergebnisse erzielen. Seit Beginn des Wahlkampfes am 27. April ist es dem EAJ/PNV unter seinem Spitzenkandidaten Juan José Ibarrexte jedoch gelungen, verlorenes Terrain zurückzuerobern.

Die 1,8 Millionen Wähler entscheiden mit ihrem Urnengang nicht nur über die 75 Parlamentsabgeordneten des autonomen Baskenlands, sondern auch über die grundsätzliche Frage, ob sie dem EAJ/PNV, der die Provinz seit 1980 regiert, weiterhin ihr Vertrauen schenken. Kurz gesagt, sie haben über den Erfolg oder Mißerfolg der baskischen Autonomie zu befinden. Bei den letzten Regionalwahlen im Jahre 1998 gewann der EAJ/PNV mit 28 Prozent 21 Sitze, der PP 16 (20,1 Prozent). Als drittstärkste Parteien zogen Euskal Herritarok, der politische Flügel der Untergrundorganisation ETA, und die Sozialistische Partei mit jeweils 14 Sitzen (17,6 Prozent) ins Parlament ein. Eusko Alkartasuna, im laufenden Wahlkampf Bündnispartner des EAJ/PNV, brachte es auf sechs Sitze (8,7 Prozent).

Die Volkspartei führt einen äußerst harten Kampf gegen die baskischen Patrioten. Daß sie Ex-Innenminister Jaime Mayor Oreja auf den Spitzenplatz ihrer Liste gesetzt haben, ist als Provokation zu verstehen. Dieser hat keinerlei Hemmungen, die "Antiterror"-Karte zu spielen und die Vorwürfe Aznars aufzugreifen, die Anführer des EAJ/PNV hätten "einen Pakt mit dem Terrorismus geschlossen". Damit bezieht er sich auf den unbefristeten Waffenstillstand, der im September 1998 in Lizarra zwischen den gemäßigten baskischen Parteien, der kommunistischen Linken und Euskal Herritarok vereinbart wurde.

Der Ausgang dieser Wahlen ist von weitreichender Bedeutung. Eine Niederlage des EAJ/PNV könnte die Madrider Regierung zum Vorwand nehmen, die Unterstützung für das autonome Baskenland abzubauen. Das wiederum würde im Baskenland eine schwere Krise auslösen. Denn die baskische Frage ist um einiges komplexer, als ihre Darstellung in den Medien ahnen läßt. Während diese sich auf die Terrorakte der ETA kaprizieren, geht es in Wahrheit um eine nationale Frage: den Kampf eines Volkes um seine Autonomie oder Souveränität. Sie in aller Komplexität zu verstehen erfordert einen Rückblick auf die Geschichte der fatalen Kluft, die dieser Kampf im baskischen Volk aufgetan hat. Die "baskische Frage" wurzelt in einem Spanien, das einerseits von den Geistern der Franco-Diktatur heimgesucht wurde, zum anderen von der beispiellosen Gewalt des Bürgerkriegs.

Mit seinem Machtantritt 1980 übernahm der EAJ/PNV das Erbe einer langen politischen Tradition. Obwohl er ursprünglich die baskische Unabhängigkeit anstrebte, gab er sich mit dem Autonomiestatus zufrieden. Der Extremismus war ihm von jeher fremd, und in seiner starken christdemokratischen Prägung hat der EAJ/PNV viel mit der bayerischen CSU gemeinsam. Er ist eine Partei der rechten Mitte, die über die Klassengrenzen hinweg Chancen bieten will und der die ETA – die als Bruch mit der Strategie des EAJ/PNV aus ihm hervorging – stets einen "kleinbürgerlichen Geist" vorwarf. Die Originalität des EAJ/PNV liegt in seiner Rolle als Standartenträger des baskischen Nationalismus sowie seinem Ziel, die Christdemokratie und den europäischen Föderalismus zusammenzubringen.

Die Geschichte des baskischen Nationalismus begann im 19. Jahrhundert mit der endgültigen Niederlage der Karlisten, in deren Folge die Grundrechte des baskischen Volkes massiv unterdrückt wurden. Sabino de Arana Goiri (1865–1903) diente dem von ihm 1895 gegründeten EAJ/PNV sowohl als Organisator wie als Cheftheoretiker. Er war es auch, der der Euskadi ihren Namen und ihre Flagge, die Ikkurina, gab und den ersten nationalistischen Aufruf verfaßte. Die Stunde der Basken schlug in den 1930er Jahren. 1931 wurde in Spanien die Republik ausgerufen. Eine überwältigende Mehrheit von 85 Prozent der Stimmberechtigten spricht sich für die baskische Autonomie aus. Nach der Ermordung des Monarchisten José Calvo Sotelo erhob sich Franco am 18. Juli 1936 in Marokko. Schon bald kam es zu massiven Feuergefechten in Navarra und Alava. Eine baskische Armee aus 3.000 Freiwilligen kämpfte auf Seiten der Republikaner. Im September desselben Jahres nehmen Francos Truppen Irun und San Sebastián ein. Erst in Elgueta kann ihrer Offensive Einhalt geboten werden. Die spanische Republik gewährt dem Baskenland endlich die Autonomie. Am 7. Oktober wird José Antonio de Aguirre in Guernika als erster Präsident eines baskischen Staates vereidigt. Seiner Regierung der nationalen Einheit gehören Nationalisten, Sozialisten, Republikanern und ein Kommunist an.

Wenig später müssen die Basken eigenständig gegen Franco kämpfen. Am 26. April 1937 wird Guernika unter frankistischem Befehl von deutschen Piloten bombardiert. Am 13. Juni marschieren Francos Truppen in Bilbao ein. Insgesamt 50.000 Basken kommen ums Leben. Die Überlebenden gingen ins Exil. Aus Sicht der Sieger war das Kapitel der baskischen Autonomie damit abgeschlossen – ein Irrtum, wie die Geschichte zeigen sollte.

Im Juni 1940 gelang Aguirre, der in Flandern gefangengenommen worden war, mit seiner Frau und seinen beiden Kindern die Flucht aus Deutschland. Über Schweden erreichte er Rio de Janeiro und schließlich New York. Kaum in den USA angekommen, verkündete er, sich als Vorsitzender der einzigen rechtlichen Regierung des Baskenlandes im demokratischen Lager für die baskische Unabhängigkeit einsetzen zu wollen. Die Exilregierung bestand nach Aguirres Tod 1952 weiter. Sie fand Unterstützung bei Politikern wie Robert Schuman und Alcide De Gasperi und wurde von Großbritannien und den USA anerkannt. Bis zum Ende der Herrschaft Francos hatte sie ihren Sitz in Paris, von wo aus sie unter der Leitung des Nationalisten Jesús Maria Leizaola im Prozeß von Burgos (1970) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Folter klagte. Nach dem Ende des Franco-Regimes führte der EAJ/PNV seinen Kampf auf legalem Weg fort. Er verstand sich als politische Schwertspitze des baskischen Kampfes. Im Gegensatz zur ETA, die auf bewaffneten Kampf setzte, um ihre Ziele zu erreichen, akzeptierte der EAJ/PNV die graduelle Reform des spanischen Staates. Als dann die Autonomie kam, übernahm er wie selbstverständlich die Macht im Baskenland.

Daß die baskische Sprache ihre Bedeutung wiedererlangt hat, ist den im Laufe der vergangenen zwanzig Jahre unternommenen Anstrengungen zu verdanken, sie zur offiziellen Unterrichtssprache zu machen. Den Terroranschlägen der ETA zum Trotz gedieh auch die baskische Wirtschaft unter der Ägide des EAJ/PNV und bestach durch ihre unerhörte Dynamik. Das Wirtschaftswachstum, das im letzten Jahr 4,3 Prozent betrug, liegt über dem spanischen Durchschnitt und weit über dem EU-Durchschnitt (3,4 Prozent).

Einige führende EAJ/PNV-Politiker sind inzwischen der Meinung, daß das Abkommen von Lizarra – das im Dezember 1999 gebrochen wurde – ein Fehler war. Nicht so der amtierende Präsident des baskischen Parlaments, José María Atuxta. Der Pariser Tageszeitung Le Monde zufolge sagte der couragierte frühere Innenminister des Baskenlandes, auf dessen Leben bislang sieben Anschläge verübt worden sind, die Einigung mit Euskal Herritarok (EH) sei überhaupt "nur zustande gekommen, weil EH ein Dokument unterzeichnet hatte, in dem sie zusicherten, ihre Ziele auf demokratischem Weg durchsetzen zu wollen". Er gibt zu, daß der EAJ/PNV geprellt wurde, fügt aber hinzu, die Hoffnung, endlich einen Schlußstrich unter die Gewalt ziehen zu können, sei immens gewesen, zumal von der Madrider Regierung in ihrer Unbeweglichkeit wenig Hilfe zu erwarten gewesen sei. Atuxta bekräftigt, seine Partei werde "weiter nach einer Lösung suchen, um dem Baskenland Frieden zu bringen und die Militanten zu überzeugen, daß sie auf dem falschen Weg sind".

Nicht weniger falsch ist allerdings der Weg, den die Regierung Aznars einschlägt. Dessen Gefolgsmann Oreja repräsentiert die Madrider Strategie vor Ort, indem er verspricht, die ETA mit Polizeiaktionen zu zerschlagen. Viele Basken durchschauen dieses Spiel als ein teuflisches. Denn die Entmachtung oder Schwächung des EAJ/PNV wird eine Kluft mitten durch die baskische Gesellschaft reißen. Genau darauf jedoch setzt die ETA, und damit hätte sie das Spiel gewonnen. Die Schuld an der Radikalisierung trüge der Taktiker Aznar.

Spitzenkandidat Oreja: Sein Parteikollege Manuel Giménez Abad – PP-Chef in der Region Aragonien – wurde letzten Sonntag ermordet


 
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