© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
CD: Rock
Kraft & Zauber
Thorsten Thaler

Zehn Jahre nach der Trennung von der schon damals legendären E-Street-Band versammelte Bruce "The Boss" Springsteen 1999 seine alten Weggefährten wieder um sich und ging mit ihnen auf Welttournee. Die E-Street-Band, das sind: Max Weinberg (dr), Roy Bittan (piano), Danny Federici (key), Garry Tallent (bass), Steve Van Zandt (g, voc), Nils Lofgren (g, voc), Clarence Clemons (sax) sowie Springsteens zweite Frau Patti Scialfa (g, voc).

Die überall ausverkauften Konzerte, darunter acht in Deutschland (JF 23/99), wurden zu einer triumphalen Rückkehr der "Zukunft des Rock’n’ Roll", die der Musikkritiker und Produzent John Landau Springsteen 1974 prophezeite, nachdem er ihn bei einem Konzert in Boston gesehen hatte. Zu dieser Zeit hatte Spring-steen mit "Greetings from Asbury Park" und "The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle" bereits zwei Alben veröffentlicht, die sich jedoch nur mittelprächtig verkauften. Den Durchbruch schaffte er 1975 mit seiner dritten, von Landau produzierten LP "Born To Run". Die schnörkellosen Rock’n’Roll-Stücke mit Texten, in denen Springsteen Geschichten über den Alltag von Menschen abseits der Welt des Glitter und Glamour erzählte, begeisterten Fans und Kritiker gleichermaßen; am 27. Oktober 1975 erschien er gleichzeitig auf den Titeln der US-Magazine Time und Newsweek. Den stärksten Eindruck aber hinterließ Springsteen bei seinen Live-Auftritten. Von der physischen Präsenz und ungebändigten Spielfreude Spring-steens und seiner Musiker – die Konzerte dauerten in der Regel mehr als vier Stunden – ging eine Faszination aus, der sich niemand entziehen konnte.

Zumindest eine Ahnung von der Atmosphäre bei Springsteen-Konzerten vermittelt jetzt die Doppel-CD "Live in New York City" mit immerhin knapp zweieinhalb Stunden Spielzeit. Zu Recht schwärmte die FAZ, es dauere genau 25 Sekunden, "dann ist man von dieser Platte gefangen; ihrem Sog ist nicht mehr zu entkommen". Aufgenommen bei den beiden Abschlußkonzerten der Welttournee 1999/2000, enthält das Album 20 Lieder, darunter die beiden bisher unveröffentlichten Titel "Land Of Hope And Dreams" und das in den USA von der Polizeigewerkschaft heftig kritisierte "American Skin (41 Shots)". Darin prangert Springsteen das Vorgehen von vier New Yorker Polizisten an, die am 4. Februar 1999 einen – wie sich später herausstellte: unbewaffneten – 22jährigen schwarzen Einwanderer bei einer Kontrolle wegen des Verdachts auf Drogenbesitz erschossen hatten. Vor Gericht sagten sie aus, sie hätten sich bedroht gefühlt. Die Polizisten wurden freigesprochen.

Zu den Höhepunkten auf "Live in New York City" gehört eine völlig neu arrangierte Version von "Born In The U.S.A.". Spring-steen präsentiert den bei seinem Erscheinen 1984 als patriotische Hymne auf das gelobte Land mißverstandenen Kracher als bluesiges Akustikstück, das unter die Haut kriecht. Ein Gefühl, das sich auch bei mehrmaligem Hören auf elektrisierende Weise immer wieder neu einstellt.

Was die Doppel-CD insgesamt zu einem Glanzstück macht, liegt im wesentlichen in jenem Faszinosum der Live-Auftritte begründet, das sich nur dem Hörer erschließt, der sprachlichen Mitteilbarkeit aber weitgehend verschlossen bleiben muß. Vielleicht hilft am ehesten der Rückgriff auf eine frühere Äußerung Springsteens: "Der Rock’n’Roll schenkt mir die Zuversicht, daß es eine Welt gibt, in der es nicht so darauf ankommt, was man genau tut: Hauptsache, man meint es ernst. Hauptsache, es hat Zauber. Hauptsache, es hat Kraft. Die Menschen verdienen Wahrheit." Was hier so pathetisch klingt, würde sich bei jedem anderen Musiker rasch als hohle Phrase entlarven. Springsteen jedoch hat diesen Zauber und diese Kraft. "Live in New York City" ist der Beweis dafür.


 
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