© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Bilderstürmer und Götzenanbeter
Der heilige Vernichtungseifer der afghanischen Taliban und seine Wurzeln in der Geschichte des Monotheismus
Alain de Benoist

Kurz nachdem sie 1996 in Kabul die Herrschaft an sich gerissen hatten, drohten die afghanischen Taliban damit, alle Statuen des Landes zu Schutt und Asche zu machen. Dieses Versprechen begannen sie im Februar dieses Jahres einzulösen, indem sie die weltberühmten riesigen Buddhas von Bamyan (38 und 55 Meter hoch) sprengten, die seit ihrer Errichtung im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung an einer steilen Felswand ausgeharrt hatten. Weltweit löste diese Zerstörung eine – völlig berechtigte – Welle entrüsteten Protests aus. Die Entrüstung wäre glaubwürdiger gewesen, hätten die Kommentatoren eingestanden, daß der Westen selbst im Laufe der Geschichte immer wieder ähnliche Greueltaten beging.

Die Taliban haben den Bildersturm nicht erfunden. Er wurzelt in der Geschichte der monotheistischen Religionen und erlebte in der Moderne, dem Zeitalter säkularer Ideologien, eine zweite Blütezeit.

Das ursprüngliche Bilderverbot findet sich in der Schöpfungsgeschichte: "Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen" (2. Mose 20,4). Und: "Ihr sollt euch keine Götzen machen und euch weder Bild noch Steinmal aufrichten, auch keinen Stein mit Bildwerk setzen in eurem Lande, um davor anzubeten" (3. Mose 26,1). Dieses Gebot, das sich auf die bildliche Wiedergabe des Gottesbegriffs bezieht, ist zeitweilig auch auf die Darstellung der menschlichen Figur angewandt worden. Schon sein eigentlicher Geist widerspricht dem instinktiven Gefühl, das in Europa von jeher vorgeherrscht hat, genauso wie die für das Verbot vorgebrachte Begründung: eine Absage an die Idolatrie, die Götzenanbetung. Während den antiken Griechen das religiöse Leben als von dem Kult der Schönheit untrennbar galt, befahl der eifersüchtige Gott der Bibel seinen Anhängern, sich jegliche Darstellung "aus gehauenem Stein oder gegossenem Metall" zu versagen (und anderen zu untersagen).

Das Verbot zielt darauf ab, Abstand zu betonen und zugleich Feindschaft zu legitimieren: Bilder zu verbieten, führt unvermeidlich dazu, diejenigen zu bekämpfen, die dieses Verbot unterlaufen, indem sie weiterhin die Anbetung von Bildnissen praktizieren oder nicht untersagen. So rechtfertigt die Ablehnung der Idolatrie den Kampf gegen die Götzenanbeter: einen Krieg, der auf die Vernichtung des Anderen angelegt ist. Aus dem Glauben nährt sich seitdem die Intoleranz, ohne die er nie mehr ausgekommen ist.

In seinen Anfängen, als das Christentum sich gegen das Heidentum erhob, gebärdete es sich alsbald im Rahmen seiner Möglichkeiten ikonoklastisch. Jahrhundertelang wurden Tempel, die den antiken Göttern gewidmet waren, systematisch verbrannt oder zerstört, Statuen zerschlagen. Truppen von Mönchen traten an, Friedhöfe zu verwüsten und die dort gefundenen Kunstwerke zu stehlen. Ihren Höhepunkt erreichten diese Zerstörungen unter der Herrschaft des Kaisers Theodosius (379 – 395). Während dieser Epoche wurde der berühmte Serapeion von Alexandria, eines der schönsten Heiligtümer der Antike, in dem glühenden Eifer zerstört, jedes Zeugnis des antiken Glaubens verschwinden zu lassen.

Die bemerkenswerte Blüte religiöser Kunst im ausgehenden Mittelalter hat vergessen lassen, daß die frühen Christen keinerlei Darstellung ihres Gottes erlaubten, sei es aus Treue gegenüber dem mosaischen Gebot, sei es, um sich um so deutlicher von den Heiden abzusetzen. Eusebius, Bischof von Caesarea (ca. 260–ca. 340), und Epiphanius, Bischof von Salamis (ca. 315–403), um nur zwei Beispiele zu nennen, bezeichneten den Versuch, den Sohn Gottes abzubilden, als absurd. Im Jahr 306 verbot das Konzil von Elvira bildliche Darstellungen in den Kirchen. Erst in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts begann die Anbetung von Gottesbildern, die zunächst nur geduldet wurde, sich zu verbreiten, während im Osten der Ikonenkult entstand.

Zwei große ikonoklastische Krisen sollten die Geschichte des Christentums in ihrem weiteren Verlauf bestimmen. Die erste war der "Bilderkrieg", der sich 730 an der Entscheidung des byzantinischen Kaisers Leon entzündete, die Heiligenbilder aus den Kirchen zu entfernen. Die zweite brach mit der Reformation herein. Ohne im Detail auf diese Krisen eingehen zu wollen, sei nur daran erinnert, daß sie unermeßliche Zerstörungen nach sich zogen.

Der calvinistische Bildersturm richtete im späten 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts besondere Verheerungen an. Zwischen 1550 und 1630 wurden in Frankreich über 20.000 Kirchen und Klöster in Brand gesetzt, abgerissen oder geplündert; ein bedeutender Teil des kulturellen Erbes aus Romanik und Gotik war für immer vernichtet. Um 1570 stellte der venezianische Botschafter in Paris fest, daß der Staatshaushalt mehrerer Jahre nicht ausreichen würde, um alle Bauwerke wiederherzustellen, die die Protestanten inzwischen zerstört hatten. "Wohin man auch blickt, sieht man nichts als Ruinen", schrieb er.

Von 1792 bis 1794 waren die Protagonisten der Französischen Revolution ihrerseits von demselben heiligen Vernichtungseifer besessen. Dieses Mal waren es die Zeugnisse des ancien régime, die ihm zum Opfer fielen. Die Schlösser brannten zu Tausenden, Statuen wurden zerschlagen. Auch hier wurde die Zerstörung von Kulturschätzen als Manifestation eines ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse begriffen, in dem es darauf ankam, alle Spuren einer Vergangenheit zu tilgen, die man verabscheute, um den Aufbruch in eine strahlende Zukunft zu erleichtern. Die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts haben es nicht anders gehalten.

Heute zerstört die Logik des Kapitals zwar keine von Menschen gemachten Kunstwerke – die verkauft sie lieber auf ihren Märkten –, aber sie vernichtet Kunstwerke der Natur, wie sie unberührte Landschaften oder ökologische Gleichgewichte bilden. Die Städte verkommen zu chaotischen Ansammlungen regelloser Bauten. Industrie, die allgegenwärtige Werbung und der Massentourismus entstellen ländliche Gebiete und Küstenregionen. Die Methoden der intensiven Landwirtschaft verschlimmern die Umweltverschmutzung, die Erosion und das Verschwinden der Artenvielfalt. Alles auf seinen Tauschwert – und das bedeutet, auf seinen Marktwert – zu reduzieren, heißt nicht nur die Vielfalt der Welt zu zerstören, sondern auch ihre Schönheit. Der Bildersturm der Taliban in Afghanistan ist unverzeihlich. Beispiellos ist er nicht.

 

Alain de Benoist ist der führende Theoretiker der französischen Neuen Rechten ("Nouvelle Droite") und Herausgeber der in Paris erscheinenden Kulturzeitschrift "Nouvelle Ecole".

 

Bildersturm während der Französischen Revolution: Im August 1792 stürzen Revolutionäre das Standbild Ludwigs XIV. auf der Place des Victoires (zeitgenössischer Kupferstich von Pierre-Gabriel Berthault, 1746–1819, nach einer Zeichnung von Jean-Louis Prieur d.J., 1759–1796)


 
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