© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Die unerwünschte Debatte
Zeitgeschichte: Gleich drei Sammelbände streiten um Finkelsteins "Holocaust-Industrie"
Frank Philip

Ein Lehrbeispiel für die Art, wie die "Meinungssoldaten" (Martin Walser) der deutschen Feuilletons "Debatten" zu simulieren pflegen, zeigt ihr Umgang mit den ketzerischen Thesen des Politologen Norman G. Finkelstein: Als trotz der Versuche, eine deutsche Übersetzung zu verhindern, Ende letzten Jahres Finkelsteins Büchlein "Die Holocaust-Industrie" wie eine Bombe einschlug, stürzte sich sogleich die Meute der Intellektuellen darauf. Die Anklage aus New York wurde mit Kritiken, Verrissen, zweideutigem Lob und Glossen umstellt und wie in Watte gepackt, so daß von der Wucht der ursprünglichen Thesen kaum noch etwas blieb. Henryk M. Broder war selbst das zu anstrengend, er erklärte Finkelstein kurzerhand zu einem "Psychopathen".

Bislang wurden drei Bücher auf den Markt gebracht, die sich mit Finkelstein, seinen Thesen, der Debatte über seine Thesen und den Reaktionen Finkelsteins auf die Debatte zu seinen Thesen beschäftigen. Im Pendo Verlag erschien der suggestive Titel "Gibt es wirklich eine Holocaust-Industrie?", der PapyRossa Verlag hat "Das Finkelstein-Alibi" und der Piper Verlag "Die Finkelstein-Debatte" im Angebot. Pikanterweise fungiert beim Pendo Verlag als Herausgeber Ernst Piper, der bis 1994 geschäftsführender Gesellschafter des Piper Verlages war. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen die neuen Inhaber des Verlages, einen schwedischen Medienkonzern. Erst habe man Ernst Nolte mit seinem Spätwerk "Historische Existenz" gedruckt, dann folgte von Horst Möller ein Buch "Der rote Holocaust" – ein provokanter Titel, der Sympathisanten des Kommunismus Bauchkrämpfe verursacht. "Und nun komplettiert der radikale Antizionist Norman Finkelstein das Trio Infernale", klagt Piper.

Um den Anschein von Ausgewogenheit zu wahren, druckt der Pendo Verlag zwar einen Kommentar Peter Sichrovskys aus der JUNGEN FREIHEIT ab, der die versuchte Zensur von Finkelstein kritisiert. Im übrigen ist der Pendo Verlag bei der Wahl der Waffen nicht zimperlich. Das von Omer Bartov in der New York Times und später in Konkret verkündete moralische Todesurteil, Finkelsteins Buch sei im Grunde nur "eine neue Variante der antisemitischen Fälschung ’Die Protokolle der Weisen von Zion‘", sekundiert der Pendo Verlag mittels einer Abbildung der Internet-Seite des Briten David Irving und dem perfiden Kommentar: "Zwischen der Einladung zum nächsten Kongreß der Holocaust-Leugner und Werbung für den Film ’Der ewige Jude‘ wird ’The Holocaust Industry‘ zum Herunterladen angeboten." Als ob Finkelstein den Holocaust geleugnet hätte!

Mit einem anderen Schwerpunkt, im Ton rüder und mit deutlich linksextremen Tendenzen behandelt "Das Finkelstein-Alibi" des PapyRossa Verlags das Thema. Finkelstein sei der "jüdische Kronzeuge" einer vom Verdrängen und Leugnen besessenen deutschen Gesellschaft, schreibt Herausgeber Rolf Surmann. Schon während der Goldhagen-Kontroverse, kritisiert Wolfgang Wippermann, habe sich Finkelstein zum nützlichen Idioten "deutscher Relativierer" gemacht. Der in Tel Aviv lehrende Historiker Moshe Zuckermann behauptet, daß die dem Holocaust "zugrunde liegenden Strukturen, mithin die stete Drohung potentiellen Rückfalls in die Barbarei, noch keineswegs aus der Welt geräumt sind". Eine Begründung für diese ungeheuerliche Behauptung bleibt Zuckermann schuldig.

Die linke Katze aus PapyRossas Sack läßt Surmann mit seinen Ausführungen zu einem angeblichen zeitgeschichtlichen Paradigmenwechsel in Deutschland, der darin bestehe, "die Nachkriegsgeschichte Deutschlands nicht unter dem Aspekt ihrer nazistischen Belastungen zu untersuchen, sondern als ’demokratische Erfolgsgeschichte‘". Nachdem der Sozialismus und mit ihm die DDR so katastrophal gescheitert sind, finden radikale Linke einen letzten Trost darin, die westdeutsche Demokratie als verkappte Fortsetzung des NS-Regimes zu verunglimpfen. Überall erblicken sie "revanchistischen Geist". Ein ganzes Kapitel aus der Feder eines bekannten "Antifa"-Schreibers berichtet über "Finkelsteins Rezeption in der JUNGEN FREIHEIT". Mit detektivischer Akribie trägt Andreas Speit hier jede noch so harmlose Bemerkung der JF zu Finkelstein zusammen, reißt wahllos Zitate aus dem Zusammenhang und konstruiert eine wilde Theorie des "Extremismus der Mitte": "Der ’Extremismus der Mitte‘ annulliert deshalb nicht nur das ’bundesdeutsche Selbstverständnis‘ der ’Bonner Republik‘, sondern radikalisiert zugleich das Eigenbild der ’Extremisten der Rechten‘." Solches Gestammel macht "Das Finkelstein-Alibi" zu einer anstrengenden und unergiebigen Lektüre.

Falls man überhaupt den Kauf eines Buches über die Holocaust-Kontroverse erwägt – die Sekundärliteratur ersetzt keineswegs die Lektüre des Originals –, dann empfiehlt sich "Die Finkelstein-Debatte". In dem von der SZ-Redakteurin Petra Steinberger sorgfältig edierten Band sind die wichtigsten Argumente für und wider Finkelsteins Thesen enthalten, unaufgeregt im Ton, sachlich und wohlwollend kritisch. Unter anderen meldet sich auch Finkelstein selbst noch einmal zu Wort. In einer durchaus lesenswerten "Erwiderung an meine Kritiker" fordert Finkelstein: "Um Antisemitismus zu bekämpfen, muß man nicht mein Buch der Zensur unterwerfen, sondern der Holocaust-Industrie das Handwerk legen."

Das Ausbleiben einer Finkelstein-Debatte in der amerikanischen Öffentlichkeit begründet die Journalistin Eva Schweitzer, nicht nur die moralische Überlegenheit der USA sei dann gefährdet. Es stünden auch hohe Geldsummen auf dem Spiel, wenn nach den Schweizer Banken auch US-amerikanische Geldinstitute Fragen zu ihren "nachrichtenlosen Konten" beantworten müßten. Aus diesem Grunde sei Finkelstein auf eine Mauer der Ablehnung gestoßen. Steinberger zitiert dazu die Worte der linksliberalen Zeitschrift The Nation über die USA, deren "Presse und Wissenschaft sich mit einer fast uniformen Kombination von Holocaust-Kitsch und Holocaust-Dogma verbunden haben". In Deutschland wurde die Debatte über Finkelsteins Ketzerei zwar geführt, doch sie war unehrlich. Vielen war anzumerken, daß sie redeten, wo sie lieber geschwiegen hätten, daß sie über Thesen diskutierten, die sie lieber mit einem Denkverbot belegt sähen.

 

Ernst Piper (Hrsg.): Gibt es wirklich eine Holocaust-Industrie? Pendo Verlag, Zürich 2001, 211 Seiten, 24,90 Mark

Rolf Surmann (Hrsg.): Das Finkelstein-Alibi, ‘Holocaust-Industrie’ und Tätergesellschaft. PapyRossa Verlag, Köln 2001, 173 Seiten, 28,00 Mark

Petra Steinberger (Hrsg.): Die Finkelsteindebatte. Piper Verlag, München 2001, 202 Seiten, 29,80 Mark


 
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