© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
"Davon hat sich die RAF nie mehr erholt"
Terrorismus: Der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl über den Rohwedder-Mord, Bad Kleinen und das Gerücht um eine "neue RAF"
Moritz Schwarz

Herr von Stahl, Sie waren als Generalbundesanwalt von 1990 bis 1993 auch mit dem Fall des Mordanschlages auf den Chef der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, befaßt. Zehn Jahre später ist die Forschung soweit, anhand damals am Tatort gefundener Haare zumindest einen der Tatbeteiligten zu identifizieren. Haben Sie geglaubt, daß die Mörder Rohwedders jemals noch ermittelt werden würden?

Stahl: Nein, ich war völlig überrascht, als jetzt bekannt wurde, daß nun der RAF-Terrorist Wolfgang Grams per Gen-Analyse als Täter oder Mittäter identifiziert worden ist.

War Grams der Mörder?

Stahl: Grams scheint – selbst wenn ein anderer den Schuß abgefeuert haben sollte – auf jeden Fall an der Tat beteiligt gewesen zu sein.

Der Versuch, Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen zu verhaften, endete mit dem Tod des Polizisten Michael Newrzella und Wolfgang Grams’ und führte schließlich zu Ihrem Rücktritt.

Stahl: Ich fühle mich durch die neuesten Erkenntisse natürlich bestätigt, denn jetzt wird plausibler, daß Grams die Waffe gegen sich selbst gerichtet hat. Die linke Presse, bis weit hinein in die bürgerlichen Zeitungen, wollte damals den Staat als faschistoid darstellen. Uns war vorgeworfen worden, die Beamten hätten Grams quasi hingerichtet. Heimliche Sympathien für die RAF spielten eine Rolle: Der böse Staat hatte einen edlen Terroristen heimtückisch umgebracht. Es war ein Medien-Gau – später wurde sogar ein Buch über diesen ungeheuerlichen Medien-Feldzug geschrieben. Und daß Grams einen Polizeibeamten, der ihn mit bloßen Händen fangen wollte, kaltblütig erschossen hatte, vergaßen die meisten Presseleute. Tatsächlich aber hat Grams – getroffen von Polizeikugeln, nachdem er das Feuer eröffnet hatte – sich selbst gerichtet. Diese Rekonstruktion des Hergangs, die der Abschlußbericht immer vertreten hat, ist durch die neuesten Erkenntnisse nun noch glaubwürdiger geworden: Grams mußte davon ausgehen, daß wir ihn wegen des Mordes an Rohwedder und des versuchten Mordes an dessen Ehefrau, die ja bei dem Attentat angeschossen worden war, suchten. Er mußte also annehmen, daß ihm zweimal Lebenslänglich droht, da hat er seine Waffe schließlich lieber gegen sich selbst gewandt.

Dieser Zusammenhang war bis Ende vergangener Woche noch unbekannt. Am Tatort, dem Wohnort Rohwedders in Bad Homburg, fand man lediglich ein Bekennerschreiben der RAF. Immer wieder kam der Verdacht auf, es könne gefälscht sein. Waren Sie sich damals sicher, daß es tatsächlich die RAF war?

Stahl: Für uns gab es da nie einen Zweifel, denn Tat und Bekennerschreiben trugen die Handschrift der RAF. Inzwischen konnte das BKA echte Bekennerschreiben von Fälschungen unterscheiden.

Immer wieder hieß es, die Attentate auf Rohwedder und den Deutsche Bank-Chef Alfred Herrhausen 1989 seien mit einer Präzision durchgeführt worden, die die Möglichkeiten der RAF überfordert hätte?

Stahl: Diese Theorien halte ich für völlig haltlos. Vor allem erscheint es mir abwegig, hinter den Anschlägen irgendwelche interessierten Dritten zu vermuten, wie das immer wieder geschehen ist.

Wenn 1993 Grams’ Beteiligung am Rohwedder-Mord gar nicht bekannt war, warum wurde er dennoch gesucht?

Stahl: Grams gehörte zur KommandoEbene der RAF. Unter "KommandoEbene" verstehen wir jene, die in die Illegalität abgetaucht sind – das sind so in der Regel zwischen acht und zwölf Personen –, im Gegensatz zu den Sympathisanten, die ihre bürgerliche Existenz fortführen. Grams glaubte wohl, wir hätten ihn erwischt, dabei ahnten wir ehrlich gesagt nicht einmal, daß wir auf ihn treffen würden – denn der Zugriff galt Birgit Hogefeld. Aber wir haben damit der RAF den Todesstoß versetzt, denn nach Bad Kleinen hat sie im Prinzip kapituliert: Danach hat die RAF nichts mehr von Bedeutung unternommen.

Warum war die RAF mit der Ausschaltung dieser beiden Kader so entscheidend getroffen?

Stahl: Die Kommando-Ebene war Anfang der achtziger Jahre aus dem Sichtfeld der Fahnder verschwunden. Im Jahre 1993 führte uns endlich ein V-Mann wieder auf die Spur: Birgit Hogefeld hatte sich zufällig in ihn verliebt, und so bekam der Verfassungsschutz in Rheinland-Pfalz wieder Fühlung mit dem RAF-Kern. Damit wurde endlich ein erneuter Schlag gegen die Kommando-Ebene möglich, von dem sich die RAF ganz offensichtlich nicht mehr erholt und der einen Prozeß beschleunigt hat, der – zugegebenermaßen – wohl schon zuvor begonnen hatte: darüber nachzudenken, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, den bewaffneten Kampf fortzusetzen.

Im Zusammenhang mit dem Rohwedder-Mord tauchte immer wieder die Vermutung auf, "versprengte" Stasi-Leute hätten aus Rache für die Wiedervereinigung in irgendeiner Form an der Tat beteiligt gewesen sein können?

Stahl: Wir waren nach 1990 völlig davon überrascht, daß wir rund ein Dutzend der gesuchten Top-Terroristen als biedere Bürger in der damaligen DDR wiederfanden. Wir hatten sie im vorderen Orient vermutet. Daß die DDR diese Mörderbande deckte, hätten wir nicht gedacht. Beziehungen zwischen RAF und MfS hatte es also, wie wir heute wissen, schon seit den siebziger Jahren gegeben. Dennoch schließe ich aus, daß irgendwelche Stasi-Reste an der Ermordung Detlev Karsten Rohwedders beteiligt gewesen sein könnten.

Spekulierte die RAF mit dem Ziel Rohwedder auf Applaus aus den neuen Ländern?

Stahl: Das Ziel Alfred Herrhausen stand für Kapitalismus und Ausbeutung der dritten Welt – völlig unsinnigerweise übrigens, da Herrhausen immer ein Herz für die Entwicklungsländer hatte. Rohwedder stand der RAF für die Ausbeutung der ehemals sozialistischen Länder. Insofern entsprach das ausgewählte Ziel schon den ideologischen Kriterien der RAF.

War denn Rohwedder auch nach Ihrer Analyse eines der nächsten Ziele der RAF?

Stahl: Ja, es war sogar ein Fahndungsansatz, die Personen zu erkennen, die die RAF als nächstes angreifen könnte. Wir ermittelten eine Gruppe von etwa fünfzig Personen, darunter auch Rohwedder. Deshalb erhielt er Personenschutz, und die Fensterscheiben seines Hauses wurden durch Panzerglas ersetzt. Verhängnisvollerweise aber geschah das nur im Erdgeschoß. Für den ersten Stock hatte er das abgelehnt, die damit verbundenen Umbauarbeiten waren ihm zu aufwendig. Auch den polizeilichen Hinweis, erst die Vorhänge zuzuziehen, bevor er in einem Raum Licht mache, hat er nicht befolgt. Und so wurde er am Abend des 1. April 1990 durch das Fenster seines hellerleuchteten Arbeitszimmers im ersten Stock erschossen. Einige Tage zuvor erst hatte ein dort Streife gehender Polizist an der Haustür geklingelt und an die offenen Vorhänge erinnert.

Nun wurde bekannt, daß die Bundesanwaltschaft bereits seit Ende vergangenen Jahres im stillen gegen eine Art "Nachfolge-RAF" ermittelt. Ist das Kapitel "Rote Armee Fraktion" vielleicht zu früh für abgeschlossen erklärt worden?

Stahl: Zu diesem Sachverhalt kann ich aus eigener Erkenntnis nichts sagen. Ich vermute aber, daß es keine neue terroristische Gefahr in Deutschland geben wird, weil sich das gesellschaftliche Umfeld seit den siebziger Jahren – der Zeit der alten RAF – wesentlich verändert hat. Eine entsprechende neue Organisation wird eher als ganz normale Räuberbande enden.

 

Alexander von Stahl, FDP-Politiker, war von 1990 bis 1993 Generalbundesanwalt


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen