© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Diesseits von Gut und Böse
Gentechnik-Debatte: Für SPD und CDU ist der technische Fortschritt zwiespältig / Nur die FDP bekennt sich klar zu den neuen biotechnischen Möglichkeiten
Christian Vollradt

Am Freitag vergangener Woche hielt der Bundespräsident seine mittlerweile zur Institution geratene Berliner Rede. Johannes Rau beließ es in diesem Jahr nicht bei präsidialen Allgemeinplätzen, schwebte nicht über die Niederungen der Tagespolitik hinweg, sondern übte an zahlreichen Stellen handfeste Kritik an seiner Ansicht nach falschen Weichenstellungen der Regierung. Raus Ausführungen zur heftig diskutierten Biopolitik – genauer ausgedrückt: zur Frage nach den staatlicherseits aufzustellenden ethischen Regeln für die biologische und medizinische Forschung am Menschen – waren eine direkte Intervention in die Debatte, die Bundeskanzler Schröder am 2. Mai mit der Errichtung eines Nationalen Ethikrates auslöste.

In den offiziellen Verlautbarungen wird den 23 vom Kabinett berufenen Mitgliedern die Aufgabe zugewiesen, eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme über Biomedizin und Gentechnik zu erstellen, den Diskurs zwischen Natur-, Sozial- und Rechtswissenschaft sowie Theologie weiterzuführen und Empfehlungen an die Politik auszusprechen. Die Mitglieder sind für vier Jahre berufen, mindestens einmal jährlich soll der Rat seine Stellungnahmen dem Bundeskanzler vorlegen und anschließend veröffentlichen. Ein Etat von 4,2 Millionen Mark steht dem Rat zur Verfügung, als Geschäftsstelle dient die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.

Schon früh wurden formale Bedenken gegen die Errichtung des Nationalen Ethikrates geäußert: Zum einen ist sein eventuell konkurrierendes Verhältnis zu bereits bestehenden Institutionen wie dem Ethik-Beirat des Gesundheitsministeriums oder der Enquete-Kommission des Bundestages zu klären. Zum anderen stimmt bedenklich, warum ein Gremium, dessen Beratungsergebnisse Grundlage für die Gesetzgebung sein sollen, durch den Kanzler, also die Exekutive berufen werden konnte. Wenn schon mit der Bezeichnung "national" auf die Belange des gesamten Volkes verwiesen wurde, wäre der Ethikrat richtigerweise dem Parlament zur Seite zu stellen. Diesen korrigierenden Hinweis erlaubte sich Rau schon zu Beginn seiner Rede. Für die Kontrolle der verfassungsmäßigen Normen ist ohnehin das Bundesverfassungsgericht zuständig, in dieser Funktion wäre der Ethikrat obsolet.

Zweifel am Sinn und Erfolg des Schröderschen Rates kommen erst recht auf, wenn man sich seine Aufgabenstellung vergegenwärtigt. So gab Christian Geyer in der Frankfurter Allgemeinen vom 3. Mai zu bedenken, daß diese "Gremien unter Konsensdruck arbeiten und insoweit an der ethischen Fragestellung, die eine Ja/Nein-Struktur aufweist, nur allzuoft vorbeiarbeiten", wobei der Kompromiß aus dem Politischen bereits in das Ethische vorverlegt werde.

Geyers Befürchtung scheint ihre Bestätigung in einer Äußerung des Ethikratmitglieds Wolfgang van den Daele zu finden; der Berliner Soziologe wies darauf hin, daß der Streit um eine Bio-ethik nicht zwischen Gut und Böse verlaufe.

So verstanden ist Ethik erstens relativ und zweitens autonom, wobei damit eine Konfrontation mit dem Ethikbegriff der beiden im Rat vertretenen Bischöfe – sofern diese ihrem Bekenntnis zum Durchbruch verhelfen – vorprogrammiert sein muß: Für diese ist Ethik absolut und heteronom, nämlich durch Gottes Gebot gesetzt, die Bewertungen als gut oder böse sind also sehr wohl vorgegeben und nicht durch menschliche Erwägungen aus der Welt zu schaffen. Wie soll aber dieser Rat Empfehlungen geben, wenn noch nicht einmal seine Grundlage übereinstimmend definiert wird?

Diesem Streitpunkt greift die Differenz zwischen Präsident und Kanzler bereits voraus. Wenn Schröder die "sozialethische Dimension" in Form von Arbeit und Wohlstand auf die Nutzenseite einer weitgefaßten Bioethik schlägt, so ist dies Relativismus, dem Rau das Absolute entgegenhält: "... daß etwas ethisch Unvertretbares nicht dadurch zulässig wird, daß es wirtschaftlichen Nutzen verspricht". Zwischen diesen beiden Polen erscheint ein Konsens zweifelhaft.

Die strikte Ablehnung einer sogenannten "verbrauchenden Embryonenforschung" begründet Rau damit, daß menschliches Leben mit der Verschmelzung von Samen- und Eizelle beginnt. Er widerspricht damit der Auffassung des Würzburger Staatsrechtlers Horst Dreier, der für den die Berufung ablehnenden Ernst-Wolfgang Böckenförde im Ethikrat sitzt. Dreier spricht dem Embryo den vollen Schutz durch Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz ab, da ihm sowohl Ich-Bewußtsein als auch Vernunft fehlten. Nach seiner Ansicht müsse der Schutz der körperlichen Unversehrtheit gemäß den menschlichen Entwicklungsstadien graduell abgestuft werden.

Auch für Volker Gerhardt, Rechtsphilosoph und ebenfalls Mitglied des Ethikrates, beginnt die Mensch erst mit seiner Geburt. Diese Frage wird in dem Gremium besondere Brisanz erhalten, da die Beratung über eine mögliche Änderung des Embryonenschutzgesetzes von 1990 eine vordringliche Aufgabe darstellt.

Aufhorchen ließ in Raus Rede seine Zurückweisung einer "deutschen Sondermoral", die so gern mit dem Schlimme-Vergangenheit-Argument daherkommt. "Wenn wir etwas für unethisch und unmoralisch halten, dann deshalb, weil es immer und überall unethisch und unmoralisch ist. In fundamentalen ethischen Fragen gibt es keine Geographie des Erlaubten oder des Unerlaubten", so der Bundespräsident.

Der Streit um die Grenzen der biomedizinischen und gentechnischen Forschung verläuft quer durch die politischen Lager. Bei den Sozialdemokraten wird beispielsweise die Position Raus durch Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin gestützt, während ihre Kabinettskollegin Bulmahn wie der Kanzler den Embryonenschutz aufweichen will. Die Grünen wiederum legten kürzlich ein Papier vor, das der restriktiveren Haltung des Bundespräsidenten entspricht. Mit Erstaunen konnte man dort zur Kenntnis nehmen, daß die Partei mit der Formulierung "menschliches Leben beginnt mit der Zeugung" in Widerspruch zu ureigensten Positionen, wie der unter dem Kriegsschrei "Mein Bauch gehört mir!" geführten Agitation gegen den Paragraphen 218 Strafgesetzbuch, geraten ist, wie Karlheinz Weißmann betont (siehe Meinungsbeitrag auf Seite 2 dieser Ausgabe).

Die FDP immerhin scheint ihrem liberalen "Alles-ist-möglich" treu geblieben zu sein, sie schalt den Bundespräsidenten rückständig ob seiner Skepsis. Von der Union gab es zwar Lob für Rau, doch eine einheitlich Positionierung, die man bei den C-Parteien eigentlich nur in einer vehementen Konfrontation mit dem Kanzler erwarten möchte, war bislang nicht zu vernehmen. Die parteipolitische Orientierungslosigkeit des Konservativismus in Deutschland bewirkt, daß ebendiese Konfrontation dem Sozialdemokraten Rau überlassen werden mußte.


 
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