© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Kein Rückfall in die Breshnew-Zeit
Rußland: Die Kontroverse um den landesweiten Fernsehsender NTW wird im Westen nur einseitig dargestellt
Wolfgang Seiffert

Im Westen wird man wohl noch lange das Schicksal des russischen Fernseh-senders NTW als Zeichen dafür werten, daß der russische Präsident Wladimir Putin die Pressefreiheit auf seine Weise versteht. Geradehat ein so bekannter und kundiger Rußlandjournalist wie Christian Schmidt-Häuer, der lange Zeit für Die Zeit in Moskau weilte, einen Schmähruf "Falscher Freund" verfaßt, in dem er doch Putin tatsächlich unterstellt, er wolle "endlich" erreichen, was dem putschistischen Notstandskomitee von 1991 nicht gelang: die Rückkehr zu sowjetischen Verhältnissen. Man faßt sich an den Kopf, weil was bereits 1991 scheiterte, 2001 schon als Gedanke ad absurdum führt, weil die Verhältnisse in Rußland sich inzwischen so geändert haben, daß eine solche "Rück-Wende" völlig ausgeschlossen ist. Man fragt sich auch: Ist das noch derselbe Schmidt-Häuer, der das erste Interview einer deutschen Zeitung mit Putin (damals noch Premier) zustande brachte und damals sehr positiv über ihn urteilte?

Aber Schmidt-Häuer ist nicht der einzige, der den "Fall NTW" benutzt, um neue Klischees über Rußland aufzubauen. Zumindest drei Tatsachen widerlegen sie:

Da ist zunächst einmal die Sache selbst. Die Tochterfirma des Konzerns Gasprom, Gasprom-Media, erreichte 50,5 Prozent der Anteile an dem russischen Fernsehsender NTW und nutzte diese Situation, um den bisherigen NTW-Chef Kisseljow zu entlassen und ein neues Management einzusetzen. Zwar gibt es Behauptungen, die Aktionärsversammlung, auf der dies beschlossen wurde, sei nicht rechtmäßig gewesen, doch darüber wird im Mai ein Gericht entscheiden. Geht man nach den Prinzipien der Marktwirtschaft und des Rechtsstaates an die Sache heran, so ist das alles andere als sensationell, sondern völlig normal. Kein Mensch würde sich darüber in Deutschland wundern, wenn Leo Kirch und Friede Springer zusammen in einem Medienkonzern die Mehrheit erlangen und dann das bisherige Management auswechseln. Sicher würden sich einige darüber ärgern, aber so sind eben Marktwirtschaft und Rechtsstaat. Und nachdem diese auch in Rußland Einzug gehalten haben, kann es auch da nicht anders sein.

Natürlich könnten Kisseljow und seine Gruppe klagen wie manche ehemalige Bürgerrechtler der ehemaligen DDR: "Wir wollten die Freiheit und haben den Rechtsstaat bekommen." Wobei die Kisseljows wohl nicht irgendeine Freiheit, sondern westliche Verhältnisse wollten. Nun sind sie da. Aber ist da nicht doch im Hintergrund Putin tätig geworden? Falls ja, so handelt es sich – wie man in der Jungle World nachlesen konnte – um "einen weiteren Versuch, sich der Oligarchen aus Boris Jelzins Tagen zu entledigen" (11. April 2001). Lautete die Aufforderung fast aller westlicher Journalisten an Putin bei seinem Machtantritt nicht immer wieder, ebendies zu tun?

Als zweites spricht die Stimmung in Rußland gegen die Thesen Schmidt-Häuers und seinesgleichen. Schon in den russischen Zeitungen folgte bald die Ernüchterung. Die Nesawissimaja sprach als erste vom "Selbstmord" des NTW. Die Moskauer Deutsche Zeitung kam zu dem Schluß: "NTW hat verloren". Eine Umfrage eines Forschungszentrums ergab, daß 41,8 Prozent der Befragten der Meinung waren, die Fernsehjournalisten um Kisseljow würden nur ihre eigenen Interessen vertreten. Nur 24,7 Prozent glaubten, das Team Kisseljow sei für Meinungsfreiheit im Lande. 31,1 Prozent meinten, es handele sich um einen gewöhnlichen Eigentümerwechsel in einem Unternehmen.

Bekannte Journalisten aus der Mannschaft Kisseljows haben diesem den Rücken gekehrt wie z. B. Parfjonow und Tatjana Mirkowa. Auch ist das Gerede vom NTW als dem einzigen unabhängigen Fernsehsender in Rußland eine Legende. Gegründet von dem Oligarchen Wladimir Gussinskij mit Unterstützung des damaligen Präsidenten Boris Jelzin erhielt NTW seine Sendelizenz von dem damaligen Chef der Kremladministration, Pawel Borodin. So verwunderte es nicht, daß der Sender 1996 für den Wahlsieg Jelzins focht. Großzügige Kredite erhielt die NTW Media-Most bzw. NTW von Gasprom und der US-Bank Credit Suisse First Boston. Kenner sprechen davon, daß allein von Gasprom Kredite in Höhe von einer Milliarde US-Dollar geflossen sind. Ironie der Geschichte: Der hohe Schuldenberg einerseits und die Zahlungsunfähigkeit des Medienkonzerns andererseits trieben diese nun in die Hand der Medienfirma Gasprom.

Inzwischen sendet NTW und ist im ganzen, großen Rußland zu sehen – unter dem neuen von Gasprom-Media eingesetzten Management. Neuer Generaldirektor von NTW wurde Alfred Koch. Der 40jährige Rußlanddeutsche wurde in der Familie eines unter Stalin vertriebenen Rußlanddeutschen in Kasachstan geboren. Später studierte er an der Wirtschaftshochschule im damaligen Leningrad und kam 1992 in die Stadtverwaltung der nunmehrigen Stadt St. Petersburg, wo er wohl auch mit Putin bekannt wurde. Niemand im Lande regte sich über diesen Wechsel an der Spitze von NTW auf. Allenfalls werden dieser oder jener Journalist vermißt, die einmal in NTW bekannt und beliebt waren. So geht es mir z. B. mit Swetlana Sorokina, die eine hervorragende Interviewerin z. B. in der Sendung "Held des Tages" war.

Und als drittes sollte man nicht den Einfluß der westlichen Kritik überschätzen. Vielleicht glaubte mancher Politiker oder Journalist im Westen, man könne die Entwicklung in der russischen Medienlandschaft beeinflussen. Doch wie sollte das geschehen? Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft hätte hier zumindest in erster Linie nur Geld ein Hebel sein können. Doch gerade damit ist man nun reingefallen. Laut Putin sind dem Sender ungesetzlich 1,5 Milliarden US-Dollar zugeflossen. Weitere Interessenten wie der amerikanische CNN-Gründer Ted Turner wurden abgeschreckt.

In dem gemeinsamen Fernsehinterview Schröder/Putin im ZDF und im russischen RTR war der Bundeskanzler eher zurückhaltend, während Putin sich mächtig ins Zeug legte. Es war nicht gerade ein Zeichen von Medienfreiheit, daß das ZDF die Aussagen Putins nur verkürzt wiedergab.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war bis 1994 Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht der Universität Kiel und lehrt jetzt am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Letztes Jahr veröffentlichte er das Buch "Wladimir W. Putin – Wiedergeburt einer Weltmacht?".


 
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