© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Tanz auf offener Bühne
Berlusconis Wahlsieg wirft ein Schlaglicht auf die politische Abstinenz deutscher Unternehmer
Andreas Wild

Die Wahl von Silvio Berlusconi zum neuen Regierungschef Italiens bewegt nicht nur die Politiker, sondern auch die Politologen und Demoskopen. Es gab während des Wahlkampfes in den Medien schlimme Beschimpfungen Berlusconis, etwa in der in Rom erscheinenden Repubblica. Der "Cavalliere", hieß es da voller Hohn, sei ein "Reklameheini", der seine Kampagne "stromlinienförmig nach den Gesetzen modernen Marketings stylt". Und außerdem dürfe ein "Fernsehhai", ein "Medienzar" aus prinzipiellen Gründen gar nicht Politiker werden, jedenfalls nicht Ministerpräsident.

Dabei ist längst klar: Buchstäblich jeder Politiker stylt heute seine Wahlkampagnen nach den Gesetzen des Marketings. Und warum sollen ausgerechnet Unternehmer der Zukunftsbranche Medien nicht unmittelbar und in führender Position politisch tätig werden dürfen? Ihnen darf man auf jeden Fall mehr Unabhängigkeit und mehr gesunden Menschenverstand zutrauen als dem bis dato fast exklusiv herrschenden politischen Personal, all jenen freigestellten Staatsbeamten, Verbandsfunktionären, Gewerkschaftsführern, die die Medien viel skrupelloser manipulieren, als es je einem Berlusconi in den Sinn gekommen ist.

Insofern ist der Wahlsieg Berlusconis schon jetzt ein Glücksfall für die europäische Politik. Er erhellt blitzartig ein Feld lange Zeit unbeachteter, wenn nicht gar medial tabuisierter Möglichkeiten. Er widerlegt die verbreitete Rede, daß kurzzeitige Seiteneinsteiger faktisch keine Chancen hätten, und er beweist eindrucksvoll, daß Demokratien keineswegs Beuteobjekte von krakenhaften Parteioligarchien sein müssen.

Nicht zuletzt belegt er wieder einmal die gewaltige Rolle der Persönlichkeit in der Politik, die von den Politologen mit ihren "objektiven Gesetzmäßigkeiten" so gern geleugnet wird. Ohne Berlusconi hätte es keine "Forza Italia" und kein Mitte-Rechts-Bündnis gegeben. Ohne ihn wäre das Bündnis nach dem Platzen der ersten Koalition im Jahre 1994 still und leise wieder auseinangelaufen, wäre der linke "Ölbaum" auch noch in die letzten noch verbliebenen freien Bereiche der italienischen Gesellschaft hineingewuchert.

Warum hat sich eigentlich in Deutschland seit 1945 noch nie ein bedeutender Unternehmer bereitgefunden, direkt in die Politik zu gehen, sich zur Wahl zu stellen, an vorderster Front mitzumischen? Liegt es wirklich nur an den schlechten Erfahrungen, die politisch aktive Unternehmer in der Weimarer Republik und im Dritten Reich machen mußten?

Sicherlich, die Beispiele Walter Rathenau, Alfred Hugenberg, Hjalmar Schacht schrecken ab. Keinem von ihnen gelang es, als eigene, selbständige Kraft Wirkung zu entfalten; selbst Hugenberg mit seiner frühen Medienmacht, zeitweilig immerhin Parteiführer der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), sah sich schnell marginalisert und schließlich ganz ausgeschaltet. Dennoch bleibt die politische Abstinenz deutscher Unternehmer nach dem Krieg auffällig.

Pferdmenges und Abs – beide hätten das Zeug zum Akteur auf der politischen Bühne gehabt, dachten aber nicht daran, sich ins Spiel zu bringen. Schleyer und Herrhausen freilich, jeder mit politischem Ehrgeiz ausgestattet, wurden ermordet. Axel Springers Avancen an Kurt Georg Kiesinger und an Willy Brandt, das gesamtdeutsche Ministerium zu übernehmen, stießen auf taube Ohren und wurden von Springer auch nicht mit der Energie verfolgt, die nötig gewesen wäre, um sich effektiv ins Spiel zu bringen.

Rudolf Augstein, nach der Bundestagswahl 1972 als gewählter FDP-Abgeordneter schon auf dem Weg nach Bonn, kehrte sofort in seinen Verlag zurück, als er merkte, daß dort die 68er die Macht übernehmen wollten und alles drunter und drüber zu gehen drohte. Das Sagen in der eigenen Firma war ihm wichtiger als das politische Amt in der Regierung. Und wie steht es mit Leo Kirch, dem "Medienzar" in München? Von dem ist nicht einmal bekannt, ob er überhaupt eine politische Meinung hat. Er ist und bleibt die "black box", das Auge des Taifuns, wie weiland Howard Hughes im Staate Texas.

Fast könnte man glauben, Deutschlands Unternehmer seien einem marxistischen Klischee aufgesessen, das sie lähmt und immer wieder zaudern läßt. Dieses Klischee besagt, daß der politische Platz des Unternehmers "hinter den Kulissen" sei, an den "geheimen Schalthebeln der Macht". Der indirekte Einfluß, so wird suggeriert, sei viel, viel wirkungsvoller als direktes politisches Agieren oder offenes Eintreten für bestimmte politische Optionen. Die auf vorderster Bühne operierenden Politiker werden als "Marionetten" dargestellt, die lediglich an den Drähten der "eigentlichen Akteure" zappelten.

Daß es sich keineswegs so verhält, zeigt nicht zuletzt die dramatische Erfolgsstory des Silvio Berlusconi. Er war auch schon vor 1994 ein "mächtiger Medienzar" mit ausgeprägt politischen Interessen, aber das von ihm präferierte "alte Parteiensystem" mit der Democrazia Cristiana und den Sozialisten im Zentrum brach trotzdem zusammen. Und niemand war da, der den Linken, den Kommunisten, Ökologisten und sonstigen Umverteilern den Weg zur Macht zu verbauen in der Lage war. Nur ein engagierter, charismatischer Politiker hätte das vermocht, doch solche Politiker gab es nicht. So mußte eben er selbst, Berlusconi, in den Ring steigen.

Er benötigte dann ganze zwei Monate, um eine nagelneue politische Formation, die "Forza Italia", auf die Beine zu stellen, sich des Beistandes zweier kleinerer rechter Parteien zu versichern und sich auf die Wahl vorzubereiten. Und er siegte schon damals glorios. Alles war mit rechten Dingen zugegangen, alles hatte sich auf der vordersten, im schärfsten Licht der Öffentlichkeit stehenden politischen Bühne abgespielt, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern.

Und vielleicht am bemerkenswertesten: Die Siege 1994 wie 2001 wurden errungen gegen den erklärten Willen der gesamten politischen und ideologischen Klasse des Landes. Alle großen Zeitungen vom Corriere della Sera bis zur La Stampa waren gegen Berlusconi, die vereinigten Staatsanwaltschaften waren gegen ihn (und hätten nur allzugern etwas gegen ihn herausgefunden). Das staatliche Fernsehen war gegen ihn in einer schon skandalösen, völlig ungeniert vorgezeigten Parteilichkeit. Und Berlusconis eigene Infotainment-Sender, deren "politische" Magazine, ähnlich wie in Deutschland die bei RTL und SAT. 1, von erklärt linken Ankermännern moderiert werden, waren zumindest nicht dezidiert für ihn.

Hat aber alles nichts genützt. Wenn die Zeit reif ist, melden sich die in die berühmte Schweigespirale Getriebenen per Wahlzettel zu Wort und sorgen für Änderung. So etwas ist also möglich in einem der großen europäischen Länder.


 
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