© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Die Unschuld des kleinen Fans
Musik: Willi Winkler hat Bob Dylan zum 60. Geburtstag eine blasphemische Hommage
Silke Lührmann

Willi Winklers "Bob Dylan. Ein Leben" will nicht irgendeine Musikerbiographie sein, sondern eine hagiographische Schrift – apokryph gewiß und blasphemisch, aber deshalb nicht weniger devot. Zufällig ist dieser Topos natürlich nicht gewählt. Dylan wurde als Jude – als Zimmerman zumal – geboren und wuchs in Hibbing, Minnesota, auf, einem öderen Kaff noch als Nazareth in Galiläa.

"Die fehlende Prägung", schreibt Winkler, "rachsüchtig meldete sie sich siebenmal siebenfach: Robert Graves; bißchen Hindu- und Buddhismus; Bibelstudien im altväterlichsten Geist; dann wieder die Vineyard Foundation; die Lubavitcher; und daß außer ihm sowieso alle verdammt seien. Könnte doch sein." So mußte Dylan "später den Fundamentalismus nachholen", was ihn auf so schauerliche Abwege wie das "Slow Train Coming"-Album von 1979 oder "Saved" (1980) irren ließ. Bei den entsprechenden Tourneen ging Dylan "nicht barfuß, aber er tat so" und konnte es nicht lassen, von der Bühne herab Verdammung und Erlösung zu predigen.

Für sich selber hat Winkler – der als ehemaliger Spiegel- und Zeit-Redakteur, Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, Ben-Witter-Preisträger, Übersetzer von Saul Bellow, John Updike, William Styron und Anthony Burgess zu den edleren Federn im Lande zählt – die Rolle eines Evangelisten vorgesehen: die des Johannes vielleicht, der doch auch literarische Ambitionen hatte. Das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, man kennt das ja. Auf Dauer nervt dieser Stil ganz schön. "Ja, es ist wahr, der junge und nicht ganz unschuldige Musikant Bob Dylan hat ein paar der gräßlichsten Lieder geschrieben, die je aus dem Radio plärrten; hat ungezählte junge und bis dahin unschuldige Menschen zum haltlosen Gitarrespielen im Verein mit Rotweinabusus verleitet; hat Wolfgang Niedecken und den ubiquitären Bapismus möglich gemacht; und er hat der Popmusik, dem schönen, dummen Schundwerk auf alle Zeiten tiefe Züge, ja: einen Stich ins Ernste verliehen. Pop, der schundige, süße, sinnlose Pop, ist mausetot, ist tot, seit Bob Dylan ihm unbedingt Bedeutung geben mußte. ’Blowin’ in the Wind‘: Die Antwort, die nur der Wind weiß, ist logischerweise keine und deshalb universell anwendbar." Man sieht richtig, wie die Feder schamhaft zuckt und sich versteift, um solch gesalbte Sätze zu Papier zu tragen.

Kein Apostel hat sich so für die Produktionsbedingungen seines Heilands interessiert, wie Winkler das tut. Eine noch abscheulichere Verirrung als der Fundamentalismus ist ihm der Kapitalismus. Dem hat Dylan seine Seele schon so oft verpfändet, daß bald nichts mehr von ihr übrig sein kann. Was Wunder, wenn er bei jedem Auftritt spektraler, gespenstischer erscheint! Man könnte meinen, der Teufel habe bei diesem Handel das schlechtere Geschäft gemacht: Der chilenische Protestsänger Victor Jara bezahlte für seine Lieder 1973 im Stadium von Valparaiso (heute spielen dort Guns’n’Roses oder Sting) erst mit gebrochenen Händen, dann mit dem Leben; Dylan wurde für seine nur bezahlt.

Bei seinen Auftritten in der "Unplugged"-Reihe des Fernsehsenders MTV1994 gab es den Mythos endgültig im Ausverkauf. "Studiomanager achteten darauf, daß in den vorderen Reihen nur junge, ansehnliche Menschen saßen", berichtet Winkler. "Zuschauer über dreißig, gar erst grauhaarige, wurden auf die rückwärtigen Plätze verwiesen." Wenigstens die PR-Branche hat aus den sechziger Jahren eine Lehre gezogen: "Traue keinem über dreißig." Fazit: "Die Industrie hatte ihn gefressen mit Haut und Haaren." Oder, wie Dylan selbst verheißt: "It’s not dark yet, but it’s getting there."

Wo die kürzlich veröffentlichte Biographie von Howard Sounes ("Down the Highway. The Life of Bob Dylan", Doubleday, London 2001, 17.99 Pfund) mit Enthüllungen über eine heimliche Ehe aufwarten kann, hält sich Winkler eher bedeckt. Sein Dylan ist ein Einzelgänger, ein Eigenbrötler fast, der nur die Maria Magdalenas kennt. Ihnen bringt er keine Hochzeitsschwüre dar, sondern Psalmen von bitterem Verlust und Verrat. Joan Baez, mit der er Mitte der sechziger Jahre in der New Yorker Folkszene liiert war, neidet Winkler zwei geizige Sätze; dabei ist sie noch heute eine glaubwürdigere Heilige als Dylan. Daß er so lange mit Sara Lowndes, seiner "sad-eyed lady of the lowlands", verheiratet blieb, schreibt Winkler mißgünstig Dylans Motorradunfall von 1966 zu, in dessen Folge er sich dem Musikgeschäft sieben Jahre lang fernhielt: "Dylan aber hockte zu Hause rum" – "zu Hause" war in Woodstock, bevor Woodstock zur Nation erklärt wurde. "Er lebte einfach normal, zeugte mit Sara ein Kind nach dem anderen, ließ sich einen Bart wachsen und fand die als reaktionär verschriene Country-Musik aus Nashville interessant. Ja, er las die Bibel." Wohl dem, der sich Frieden leisten kann!

Die Fotos (mit Bedacht, aber ohne viel Phantasie ausgewählt) zieren kryptische Bildunterschriften, als wollte Winkler sich selber am Surrealismus versuchen – oder war es doch nur die Beat-Poesie? In deren berauschtem Dunstkreis verortet er Dylan nicht zu Unrecht, obgleich "der lebende Kerouac ... ihn vielleicht als Juden beschimpft (hätte) und als Schwuchtel und als Pazifisten und Negerfreund sowieso, doch das ist eine andere Geschichte". Um so bedauerlicher, daß er sich so selten und so halbherzig zu einer Exegese hinreißen läßt, als wären nur Eingeweihte der Weisheit des Meisters würdig. Weniger wissende Leser dieses Evangeliums nach Willi – die Nachgeborenen gar wie sein eigener Sproß Michael, "der am 13. Juli 1996 auf der Hamburger Pferderennbahn beim Konzert Bob Dylan/Neil Young zum ersten Mal richtig laufen konnte; oder doch kurz davor" und inzwischen zweifelsohne von der Kelly Family schwärmt – müssen sich von Krumen aus dem Reliquienschrein nähren; von Anekdoten über "vom Recorder abgeschriebene" Dylan-Lieder, verflossene und verpaßte Konzertbesuche, Franz Beckenbauers "herzzerreißend" miserables Englisch. Fast zu spät erfolgt ein Bekenntnis, das rührend versöhnlich stimmt: "Was bleibt da dem kleinen Fan, wie soll er seine scheue Verehrung entbieten, an welchem Altar seine stille Liebe niederlegen, in welcher Kirche anbeten, wenn alles schon bevölkert ist mit Händlern und Geldwechslern? Denn der kleine Fan, nicht wahr?, er ist als einziger unschuldig geblieben."

In Wirklichkeit war Bob Dylan nie der Messias. Er ist ein Prophet, der eigentlich Dichter werden wollte und irdischen Tand kaum weniger liebte als Epiphanien, ein Poet, den es hin und wieder in die Wüste zog, in einer Zeit, die nicht mehr hören will; statt hoffnungsfroh zu schmettern "The Times They Are A-Changin’", nuschelt er nüchtern: "Things have changed". Er wurde nicht mit 33 gekreuzigt oder – wie Victor Jara – mit 35 erschossen, sondern feierte gestern, am 24. Mai, seinen 60. Geburtstag. Zumindest das ist ihm zu gönnen.

 

Willi Winkler: Bob Dylan. Ein Leben. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, Abb., 206 Seiten, geb., 49,80 Mark

Konzerte: "One Night Only" tritt Dylan am 5. Juli in Braunschweig (Stadthalle), am 6. Juli in Steinbach-Langenbach (Naturtheater) und am 7. Juli in Schwäbisch Gmünd (Universitätspark) auf.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen