© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Frisch gepreßt

Staatsrat Schmitt. Vom "Preußenschlag", der Entmachtung der SPD-geführten preußischen Regierung durch Reichskanzler von Papen am 20. Juli 1932, erfuhr Carl Schmitt aus der Zeitung. Erst danach betrat er, in der üblichen Nebenrolle, mit der sich Juristen außerhalb der akademischen Welt begnügen müssen, die politische Bühne: Als "Anwalt des Reiches" vertrat er die Interessen des Präsidialregimes von Papen vor dem Leizpiger Staatsgerichtshof. Für Dirk Blasius, Historiker in Essen, bisher nur bekannt mit Arbeiten wie der zur Geschichte der Ehescheidung, führte dieser Weg schnurgerade zu Schmitts Position als Hitlers Kronjurist. Blasius versucht diese These – unter souveräner Mißachtung neuerer Forschung von Pyta, Seiberth und Berthold – dadurch zu erhärten, daß er uns Schmitts Agieren im Preußischen Staatsrat näher bringt; einem Gremium, das in drei Jahren kaum zehn Mal zusammentrat und 1936 wieder in der Versenkung verschwand. Schmitt hat hier an der neuen Gemeindeverfassung mitgearbeitet, die jeder Regierungsassessor hätte entwerfen können. Gleichwohl bejubelte der Schmitt-Biograph Paul Noack in der FAZ, Blasius habe "absolut Neues" geboten und "bemerkenswerte" Archivfunde gemacht. Wer wie Noack kein Archiv von innen kennt, für den ist freilich alles "absolut" neu ("Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich", Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, 250 Seiten, 59,80 Mark).

Der Organist Gottes. Den Erinnerungen Albert Speers ist zu entnehmen, daß die Berliner Philharmoniker am 12. April 1945 nicht, passend zur Götterdämmerung des Dritten Reiches, Wagner spielten, sondern Anton Bruckners vierte Sinfonie, die "Romantische". Das war gleichwohl kein Kontra-, sondern eher ein konsequenter Schlußpunkt unter ein Kapitel deutscher Mentalitätsgeschichte, die man mühelos bis in Bruckners spätromantischen Geburtsjahr 1824 zurückverfolgen kann. Über diese Gefühlswelt, die man altmodisch "Volksseele" nannte und die "der größte Symphonist aller Zeiten" (Sergiu Celibidache) so intensiv berührte, wie er sie formte, erfährt der Leser der Bruckner-Biographie des bayerischen Publizisten Wolfgang Johannes Bekh leider nur am Rande ("Anton Bruckner. Biographie eines Unzeitgemäßen", Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2001, 528 Seiten, Abb., Notenbeispiele, 68 Mark).


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen