© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Internetworld: Mehr Besucher, weniger Euphorie und ein bißchen gegen Rechts
Kindlicher Spieltrieb
Ronald Gläser

Das Motto des "Gründerpavillons" auf der Internetworld war gut gewählt: Überleben und Wachsen! Es hätte ja auch "Erfinden und Wachsen" oder "Investieren und Profitieren" lauten können. Aber der Begriff "Überleben" gehört inzwischen zum wichtigsten Standardrepertoire der sogenannten Startups, wenn nicht der gesamten Internetwirtschaft.

Die Internetworld-Messe in Berlin hat überlebt und wächst. Letzte Woche zog sie Zehntausende von Besuchern an. Das ist für eine reine Fachmesse ganz beträchtlich. Der Eintrittspreis war mit 140 Mark auch prohibitiv hoch.

Otto Normalsurfer hat auf der Messe – anders als auf der CeBit oder der IFA – auch nichts zu suchen. Im Vordergrund standen professionelle Anwendungen und Entwicklungen sowie diverse gewerbliche Produkte. Die Selbstdarstellungen der Aussteller von A bis Z lesen sich etwa so: Adtech ist "der ASP für neutrales Adserving im Outsourcing, der den Adserver über XML in den Workflow seiner Kunden integriert". Oder: "Xipolis ist ein führender Content-Syndicator und bietet neben einem umfangreichen Inhalteportfolio auch Content-Integration." Alles klar?

Trotz einiger nützlicher Innovationen glauben manche Firmen, das Rad neu erfunden zu haben. So präsentiert die Firma space2go das Programm "Text-to-Speech-Service". Damit liest das Handy die elektronische Post vor. Diese "Weltneuheit" hat Arcor vor zwei Jahren vergeblich als "Talking Web" zu vermarkten versucht. Und auch die Tageszeitung Die Welt hat das Vorlesen von ausgesuchten Artikeln längst wieder eingestellt.

Obwohl sich die ganze Branche ihre eigene Sprache geschaffen hat, lassen sich aber auch hier die herkömmlichen Mechanismen von Werbung und Öffentlichkeitsarbeit nicht außer Kraft setzen. Blondinen werden auch in der Internetwirtschaft als Promoterinnen bevorzugt.

Andere appellieren erfolgreich an den kindlichen Spieltrieb der zumeist männlichen Kundschaft: In einer der zahllosen Hallen befindet sich ein menschenleerer Stand einer Internet-Spieleplattform. Die Besucher sollen durch von Anglizismen durchsetzte Schautafeln angelockt werden. Die Strategie geht nicht auf.

Direkt daneben liefert die Firma e-solutions ein Musterbeispiel für erfolgreiche Werbung. Die Produkte der Firma haben mit Spielzeug oder Unterhaltung rein gar nichts zu tun. Auf ihrem Stand aber ist statt Flachbildschirmen oder aufwendigen Videodemonstrationen eine uralte Carrera-Bahn aufgebaut. Ein geradezu prähistorisches Kinderspielzeug, wenn man die Zeitdimensionen des Internets zugrunde legt. Allerdings befindet sich hier zur Freude des Ausstellers eine wahre Menschentraube.

Besonders umlagert sind auch die Provider von Internetzugängen mit Hochgeschwindigkeit. Dank DSL oder Funkverbindungen lassen sich mittlerweile recht günstig Übertragungsraten bewerkstelligen, die zwanzig- bis dreißigmal so schnell sind wie ISDN. Anbietende Unternehmen schießen gerade wie Pilze aus dem Boden, so daß selbst Marktinsider den Überblick verlieren.

"Sehen Sie, wir können eine dreijährige Erfahrung vorweisen", argumentiert einer der Anbieter von DSL-Zugängen im persönlichen Gespräch. Er verweist auf Konkurrenten, die noch nicht mal ein Jahr alt seien. Drei Jahre – das ist natürlich eine Ewigkeit in diesem Wirtschaftszweig.

Ein anderer Trend geht hin zur Miete von Programmen, für deren lizenzierte Nutzung man früher einen recht hohen Pauschalbetrag investieren mußte. ASP (Application Service Providing) heißt das Zauberwort. Das Unternehmen zahlt nur noch die Miete für bestimmte Programme, die auf externen Rechnern liegen. Das geht natürlich nur bei den schnellen Zugängen und kurbelt zugleich den Umsatz der Anbieter von Verschlüsselungsprogrammen an. Denn wer will schon sensible Daten auf die Datenautobahn auslagern?

Verwaist wirkt die "Risikokapital"-Halle. Vor zwei Jahren noch schütteten Banken und Anleger jeden noch so dämlichen Unternehmensgründer für seine absurden Ideen mit Geld zu. Doch die Goldgräberstimmung ist tiefem Mißtrauen gewichen. Das Desinteresse an der Veranstaltung "Meet the Money" spricht Bände. Lediglich das Handelsblatt als die Wirtschaftszeitung der sogenannten Alten Ökonomie stößt auf Akzeptanz der Messebesucher. Auch haben viele Firmen ihre Präsentationen im Volumen reduziert. Eine Telefongesellschaft, die vor Jahresfrist auf der Cebit noch Millionen verballert hat, begnügt sich heute mit zwei Computern und einer Schautafel – als Untermieter bei Microsoft.

Mitten in einer Halle stößt man auf eine große Kunstrasenfläche, auf der etliche Blumentöpfe stehen. In der Mitte befindet sich eine Wand, auf der sich folgender Spruch befindet: "Sie suchten blühende Landschaften und fanden den Tod!" Nein, die Rede ist nicht von Startups, sondern von Ausländern, die Opfer der allgegenwärtigen "rechten Gewalt" geworden seien. "Haß", so lautet die Überschrift eines Flugblatts, "ist nicht gut für kleine Planeten!" Da fragt man sich glatt, ob Haß auf großen Planeten dagegen gut sei.

Allerdings nutzen ausgelaugte Messebesucher die Freifläche nur als Sitzgelegenheit, ohne daß sich jemand daran stört. Niemand bleibt andächtig stehen oder interessiert sich für die ausgelegten Broschüren. Das ist ein Fehler, denn dadurch erfährt man, welche Provider Zensurmaßnahmen fordern und zielstrebig mit staatlichen Organen kooperieren. Die Blockwarte in der Internetgemeinde werden vermutlich bald dazu übergehen, sensible Kundendaten weiterzugeben, weil die Justiz der Anbieter von rechten Seiten nicht habhaft werden kann. Diese betreiben ihre Seiten längst in Amerika, wo Meinungsfreiheit keine Worthülse ist.

So rettet sich der Pressevertreter erschöpft in das übergroße Pressezentrum, wo sich aber leider kein Personal Computer mit Internetzugang finden läßt! Dafür werden permanent Konferenzen abgehalten, die mit einer gemeinsamen Mahlzeit auf Kosten der Aussteller enden. So verarmt kann die noch im letzten Jahr hochgelobte Neue Ökonomie also nicht sein. Auch an der Bar muß nichts gezahlt werden. Das Überleben ist gesichert – vorläufig.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen