© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Archäologie als Krimi
Ausstellung: "Agatha Christie" in Berlin
Rolf Helfert

Romane wie "Tod auf dem Nil" oder "Mord im Orient-Expreß" gehören zu den Klassikern der Kriminalliteratur. Der Name Agatha Christie (1890–1976) steht als Signum eines Genre, in dem die Ermittler böse Buben nicht gewaltsam, sondern mittels Beobachtungsgabe und Kombinationssinn zur Strecke bringen. Daß Christie diese Methodik der Archäologie entnahm, der sie viele wichtige Impulse verdankte, wissen nur wenige.

Unter der Leitung von Charlotte Tümpler haben das Ruhrlandmuseum in Essen und das Berliner Vorderasiatische Museum den Werdegang der britischen Schriftstellerin nachgezeichnet. Zu sehen ist im Kulturforum am Tiergarten eine interessante und empfehlenswerte Sonderausstellung: "Agatha Christie und der Orient. Kriminalistik und Archäologie".

1928 unternahm Christie ihre erste "Orientreise", die sie von London nach Bagdad führte. Kurz vorher hatte sie sich von dem Altertumsforscher Archibald Christie scheiden lassen. Agatha, die leidenschaftlich gern Eisenbahn fuhr, benutzte den legendären "Orient-Expreß", der sie acht Tage lang quer durch Europa und das halbbarbarische Vorderasien brachte. Damals pflegten nur Angehörige der Oberschicht, Geschäftsleute, Diplomaten, Abenteurer und Stutzer, solcherart zu reisen. "Der Übertritt von Europa nach Asien", schrieb Christie, "geschah fast unmerklich, aber ich hatte das Gefühl, als ob die Zeit hier weniger Bedeutung hätte. Gemächlich zuckelte der Expreß die Küste des Marmarameeres entlang und kletterte dann die Berge hinauf – es war unbeschreiblich schön". In Ur faszinierten sie gerade entdeckte sumerische Königsgräber.

Ein im Originalzustand erhaltenes Abteil des luxuriösen Orient-Expresses vermittelt authentisch jene düster-romantische Atmosphäre, die Christie motivierte, Detektivromane zu verfassen. Postkarten, Zugbilletts, Koffer, Visa und Landkarten der zwanziger und dreißiger Jahre runden dieses Bild vortrefflich ab.

1930 heiratete die Engländerin den 14 Jahre jüngeren Archäologen Max Mallowan. Jahrzehntelang arbeitete das Paar in syrischen und irakischen Ausgrabungsorten, darunter die berühmten Assyrerstädte Ninive und Nimrud. Viele altmesopotamische Artefakte, die fast alle das British Museum beigesteuert hat, dürften auch Besucher fesseln, denen Agatha Christie nicht allzuviel bedeutet. Krüge, Tonscherben, Keramiken, Elfenbeinkunst, Halsketten und Ohrringe, von Mallowan/Christie entdeckt oder bearbeitet, dokumentieren anschaulich, wie Menschen früher Hochkulturen lebten. Ihr Schmuck wirkt genauso modern wie die Nachbildung eines 4.600 Jahre alten Dolches, den man sich als Mordwaffe gut vorstellen kann. Einige assyrische Inschriften verdienen besondere Aufmerksamkeit. Wer das Wunder vollbringt, diese Ritzen und Kerben ohne Grammatikbuch und Vokabelheft zu übersetzen, entlarvt sogar den intelligentesten Unhold en passant!

In Christies Autobiographie "Erinnerung an glückliche Tage" artikulierte sie das "sehnsüchtige Verlangen, selbst Archäologin zu sein". Christie malte und fotografierte Grabungsfunde, die sie auch katalogisierte und oft sogar restaurierte. Bislang unveröffentlichte Fotos zeigen sie bei der Arbeit. 1938 und 1952/56 verfilmte Christie eigenhändig ihr Leben in Vorderasien. Erstmals werden beide Streifen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Region zwischen Euphrat und Tigris, Mensch und Natur, erhielt die Qualität einer zweiten Heimat. "Ich liebe dieses sanfte, fruchtbare Land und seine einfachen Bewohner, die zu lachen verstehen und das Leben genießen können; die mit Fröhlichkeit faul sind, Würde, Stil und gewaltig viel Humor besitzen und die den Tod nicht fürchten."

Während der dreißiger Jahre, die Agatha Christie beinahe ganz im Orient verbrachte, entstanden berühmte Kriminalromane wie "Mord in Mesopotamien", "Rendezvous mit einer Leiche", "Rächende Geister". 1933 motivierte sie eine Ägyptenreise, den Roman "Tod auf dem Nil" zu schreiben, der 1937 veröffentlicht und in den achtziger Jahren mit Peter Ustinov verfilmt wurde. Bei alledem nutzte die Autorin Pyramiden und Zikkurats nicht bloß, um stimmungsvolle Kulissen zu schaffen, sondern verknüpfte in der Figur des Hercule Poirot archäologisches Forschen mit kriminalistischem Spürsinn. Der Blick für das verräterische Detail, die Fähigkeit, Wesentliches vom Unwichtigen zu trennen, das Geschick, winzige Fragmente zu verschmelzen, ermöglichten es dem kleinen belgischen Detektiv, als Archäologe des Verbrechens aufzutreten.

Viel Raum widmet das Museum der wohl bekanntesten Agatha-Christie-Verfilmung "Mord im Orient-Expreß" von 1974. Etliche Film-Utensilien sind zu bestaunen. Wiederum sieht man ein Zugabteil. Stellt der Besucher seine Füße an die richtige Stelle, ertönt ein greulicher Todesschrei. Ist das nichts?

 

Agatha Christie und der Orient. Kriminalistik und Archäologie. Ausstellung im Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin, Tel: 030 / 266 29 51. Täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, Do. bis 22 Uhr. Der Katalog mit 480 Seiten kostet 39,90 Mark


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen