© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001


Ein sterbendes Volk
Bevölkerungsrückgang: Gebärverweigerung wird mit Zuwanderung bestraft
Michael Wiesberg

Wer bietet mehr? Unter dieses Motto könnte man die derzeit diskutierten Szenarien über die Größenordnung der jährlich benötigten Zuwanderung von ausländischen Arbeitnehmern nach Deutschland stellen. Die Vorsitzende der Regierungskommission zur Zuwanderung, Rita Süssmuth (CDU), sieht einen langfristigen Bedarf von mehr als 40.000 Zuwanderern pro Jahr. Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, prognostiziert gar einen Bedarf von 150.000 Arbeitnehmern pro Jahr. Der deutschen Wirtschaft ist dies alles noch nicht genug: bis zu 400.000 Zuwanderer jährlich glaubt sie zu benötigen, damit der "Standort Deutschland" wettbewerbsfähig bleibt.

Wohlgemerkt: Hier ist von zusätzlicher Zuwanderung nach Deutschland die Rede, denn es ist nicht damit zu rechnen, daß die rot-grüne Bundesregierung an ihrer ideologisch motivierten Zuwanderungspolitik Abstriche machen wird. Das zeigt die moderate Forderung der Unionsparteien nach einer Verschärfung des Asylrechtes, die die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth als "völlig unakzeptabel" zurückwies. Und schon gar nicht ist daran zu denken, daß bilaterale Sozialabkommen wie mit der Türkei, die Deutschland Jahr für Jahr einen stattlichen Bevölkerungstransfer bescheren, beschnitten werden.

Welche "Qualität" diese Art von unregulierter Zuwanderung aus "humanitären Gründen" hat, kann in dem Diskussionspapier des Geschäftsführenden Vorstands der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel "Zuwanderungsbegrenzung und Zuwanderungssteuerung im Interesse unseres Landes" nachgelesen werden: "Zu viele Zuwanderer sind nicht willens und/oder nicht in der Lage, hier ihren Lebensunterhalt dauerhaft durch Erwerbstätigkeit zu finanzieren und sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu integrieren."

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer ist immer weiter zurückgegangen: 1985 lebten in der Bundesrepublik Deutschland rund vier Millionen Ausländer. Von ihnen waren zwei Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Heute leben in Deutschland offiziell 7,32 Millionen Ausländer, von den weniger als zwei Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Das heißt: Immer weniger Zuwanderer haben Anteil an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. Gleichzeitig ist die Zahl der ausländischen Sozialhilfeempfänger kontinuierlich angestiegen. Sie ist heute mit ca. 23 Prozent mehr als zweieinhalbmal so groß wie der Anteil an der Bevölkerung.

Um es deutlich zu sagen: Die chronische Gebärverweigerung der Deutschen zwingt zur Zuwanderung. Deutschland ist auf den Zuzug von qualifizierten Zuwanderern angewiesen, soll es nicht in Zukunft zu einem gravierenden Facharbeitermangel kommen. Zum Sprengsatz entwickelt sich aber die seit Jahrzehnten anhaltende ungeregulierte Zuwanderung, an der weder Rot-Grün noch die Unionsparteien substanzielle Abstriche vornehmen wollen. Der richtige Vorstoß der CSU, das individuelle Grundrecht auf Asyl durch eine institutionelle Garantie ersetzen zu wollen, ist bereits wieder Makulatur. So wird es bei einer ideologisch motivierten Ausländerpolitik bleiben, die die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach (SPD), in folgende Worte faßte: Nicht wegen des Reichtums, sondern wegen der "historischen Verantwortung nach Holocaust und Nazi-Terror müßten die Deutschen lernen, mit Fremden zu leben und zu teilen". Dies gelte auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen.

Die politische Linke betrachtet Zuwanderung demnach zuvorderst als volkspädagogische Maßnahme bzw. als, um es mit dem derzeitigen Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) zu sagen, "Reparationsleistung für die Rassepolitik des Naziregimes". Werthebach führte auch einen Begriff in die Debatte ein, den kein rot-grüner Politiker mehr kennen will: die "Staatsraison". Werthebach wörtlich: "Staatsraison fordert die Integration der hier lebenden Ausländer in die deutsche Gesellschaft und keine multikulturelle Gesellschaft ... Daher kann das Interesse eines Ausländers an einem Aufenthalt in Deutschland nicht bestimmender Maßstab sein." Wenn Werthebach weiter feststellt, daß das "öffentliche Interesse" an einer Zuwanderung "bisher auf unzuträgliche Weise vernachlässigt" wurde und Deutschland deshalb in "ein Einwanderungsland wider Willen" verwandelt worden sei, trifft er den Nagel auf den Kopf. Die Frage, die er sich allerdings gefallen lassen muß, lautet: Was haben eigentlich die Unionsparteien in 16 Jahren Regierungszeit getan, um dieser Umwandlung Deutschlands in ein Einwanderungsland entgegenzutreten?

Befürchtet werden muß, daß die rotgrüne Bundesregierung ihrem ideologischen Ziel, der Errichtung einer multiethnischen Gesellschaft auf deutschem Boden, im Zuge der laufenden Diskussion ein erhebliches Stück näherkommen wird. Es ist lohnend, sich in diesem Zusammenhang folgende Sätze des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm (CDU) in Erinnerung zu rufen, der vor drei Jahren in der Berliner Zeitung schrieb: "Das Modell ’Multikultur‘ nimmt die Aufgabe der deutschen Leitkultur zugunsten gleichrangiger Parallelgesellschaften billigend in Kauf ... Ihre Vorbilder sind ’Kommunen‘ und ’freie Assoziationen‘, deren sozialer und politischer Halt eben nicht in einer verfassungsmäßig gesicherten Nation liegt." Wie der ideengeschichtliche Bezug der "multikulturellen Gesellschaft" aussieht, darüber läßt Schönbohm keinen Zweifel aufkommen: dieser sei in den politischen Theorien des Anarchismus und in den "verschiedenen Strömen des Marxismus bis hin zu den gemäßigten Sozialismusvorstellungen" zu verorten.

Die Alt-68er und deren Nachbeter, die 1998 per Wahlentscheid in die Regierungsämter gehievt worden sind, sind sich im Kern treu geblieben. Der Fundamen-talismus, den sie in der Zuwanderungsfrage vertreten, ist der Entwurf einer "Antithese" zum "national-chauvinistischen Machtanspruch" des Dritten Reiches, der "zur unkontrollierten Öffnung nach außen" (Schönbohm) zu geraten droht. Die Bündnisgrünen haben in ihrem Einwanderungspapier "Einwanderung gestalten, Asylrecht sichern, Integration fördern" keinen Zweifel daran gelassen, daß sie genau das wollen: "Eine objektiv meßbare ’Belastungsgrenze‘ gibt es nicht, denn die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft hängt vor allem von ihrer Integrationsbereitschaft ab. Politische Debatten müssen dazu beitragen, diese zu stärken, anstatt in unverantwortlicher Weise ... Vorurteile zu schüren." Im Klartext heißt das: Nicht die Zuwanderer sind das Problem, sondern die Deutschen, die gefälligst das notwendige Maß an "Integrationsbereitschaft" aufzubringen haben, damit in Deutschland endlich die multiethnische Seligkeit ausbrechen kann.


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