© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Wenn der Revolutionär zum Wachmann wird
Bei einer Strategiedebatte in Frankfurt waren sich Gewerkschaftler und "Antifa" nur über die Mobilmachung gegen Rechts einig
Werner Olles

Nur wenige Interessenten hatten sich am letzten Mai-Wochenende im Kommunikationszentrum der Frankfurter Johann Wolfgang von Goethe-Universität eingefunden, um an einer von DGB-, IG Metall-, GEW-Funktionären und allerlei linksextremistischen Gruppierungen veranstalteten "Strategiedebatte über den Widerstand gegen den Rechtsradikalismus in Deutschland" teilzunehmen.

Zwar wurde gegen Ende der Veranstaltung eine "Gründungserklärung der Anti-Nazi-Koordination Frankfurt" unter den Anwesenden verteilt, doch ließ man vorsichtshalber erst gar nicht darüber abstimmen, weil die diversen gewerkschaftlichen und "antifaschistischen" Organisationen bei der Beurteilung der Vorgänge am 1. Mai in Frankfurt am Main zu recht unterschiedlichen Ergebnissen kamen.

Gewalttätige Linksextremisten hatten an diesem traditionellen "Kampftag der Arbeiterklasse" eine nach zahlreichen juristischen Querelen genehmigte Demonstration der NPD überfallen, indem sie eine U-Bahn, die eine Gruppe NPD-Mitglieder beförderte, mit Steinen und Flaschen bombardierten, zum Halten zwangen und die Demonstranten dann mit Stöcken und Baseballschlägern attackierten. Dieses brutale, schwerkriminelle Vorgehen wurde von Mustafa Korkmaz, dem Sprecher der Initiative "Weg mit der NPD!" mit dem erstaunlichen Argument verteidigt, man habe dadurch "den Vormarsch der Rechtsextremen zum Gebäude der Europäischen Zentralbank verhindert". Der DGB-Kreisvorsitzende Harald Fiedler warnte dagegen davor, durch zu großen Radikalismus die "gemäßigten Kräfte" beim "gemeinsamen Kampf gegen den Rechtsradikalismus" abzuschrecken, während seine IG-Metall-Kollegin Katinka Poensgen die Meinung vertrat, die Gewerkschaften hätten sich auf jeden Fall an der "Kundgebung" der Linksextremisten beteiligen müssen.

Diese "Buntheit der anti-rechten Bewegung" begrüßte auch die Soziologin Elisabeth Abendroth, eine Tochter des verstorbenen linkssozialistischen Professor Wolfgang Abendroths, der immerhin nach dem Kriege dem NS-Dissidenten Otto Strasser nach dessen Rückkehr aus seinem kanadischen Exil als Rechtsbeistand zu einer Wiedergutnachung für durch das von den Nationalsozialisten erlittene Unrecht verholfen hatte.

Den Vogel schoß jedoch der auf allen "antifaschistischen" Hochzeiten tanzende, linksradikale GEW-Funktionär Benjamin Ortmeyer mit der atemberaubenden Bemerkung ab: "Hätte es am 1. Mai in Frankfurt keine Polizisten gegeben, hätte es auch keine Nazis gegeben!" Tatsächlich hatte die Polizei an diesem Tag verhindert, daß es durch die von blindwütigem Haß getriebenen "Antifaschisten" nicht zu noch mehr Schwerverletzten oder sogar Toten gekommen ist. Daß niemand der übrigen Diskussionsteilnehmer den das Faustrecht und den Bürgerkrieg nicht scheuenden Gewerkschaftsvertreter daraufhin zur Ordnung rief, zeigt einmal mehr, daß man hier offensichtlich bereit ist, letztlich auch die Tötung Andersdenkender in Kauf zu nehmen.

Recht befremdlich mutet auch an, daß der radikalen Linken offenbar jegliche antikapitalistische Perspektive abhanden gekommen ist. Diejenigen, die einstmals den revolutionären Sozialismus aktivistisch erkämpfen wollte, sind inzwischen nicht einmal mehr in der Lage, seine Idee heroisch zu bewahren. So ist es wohl nicht ohne eine gewisse Komik, daß ehemalige "Revolutionäre" heute die Europäische Zentralbank gegen den "Ansturm" der NPD verteidigen. In dieses rührende Idyll eines verkniffen-depressiven, politisch korrekten "Antifa"-Seminars paßt auch bestens die hemmungslose Verteidigung des spätkapitalistischen Systems durch "Arbeitnehmervertreter" der DGB-Gewerkschaften, die auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nichts besseres zu tun haben, als das gesunde Volksempfinden gegen die Schimäre "Rechtsradikalismus" mobil zu machen.

Dieser in Wahrheit völlig machtlose Rechtsradikalismus dient der "antifaschistisch" gezähmten Linken inzwischen als letzte Legitimationsgrundlage. Nicht einmal ein Nachhall zur verklingenden Utopie einer radikalen Subversion ist hier noch zu spüren. Als Hüterin des Staus quo der kapitalistischen Massengesellschaft bleibt der radikalen Linken nichts als ein bißchen Re-education-Krampf und ein paar langweilige "antifaschistische" Banalitäten. Ob das auf Dauer gesehen reicht?


 
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