© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Tausend Jahre Osterweiterung
Ausstellung: "Europas Mitte um 1000" im Berliner Martin-Gropius-Bau
Rolf Helfert

Selten hat eine historische Ausstellung zwiespältigere Gefühle hervorgerufen. Derzeit locken wundersame Gegenstände frühmittelalterlichen Ursprungs das Publikum in den Berliner Martin-Gropius-Bau. Kronjuwelen, Pflüge, Reliquien und Bücher – es lohnt allemal, der Geschichtsschau "Europas Mitte um 1000" einen Besuch abzustatten. Das "deutsch-polnisch-slowakisch-tschechisch-ungarische Ausstellungsprojekt", vom Deutschen Historischen Museum und dem Mannheimer Reiss-Museum geleitet, offeriert fast 2.800 Objekte, die 179 Leihgeber zur Verfügung stellten. Etwa 220 Fachleute aus 12 Ländern arbeiteten mit. Erstmals wurde die Ausstellung Ende vorigen Jahres in Budapest gezeigt. Den Besucher erwartet ein Panorama der mittel- und osteuropäischen Welt der vorletzten Jahrtausendwende: ottonisches Kaiserreich, Byzanz, Polen, Böhmen und Ungarn.

Der Europarat hat dies alles unter seine Fittiche genommen; eben hier liegt das größte Problem. Jene 21 Millionen Mark, welche die Darbietung kostete, zapften die Veranstalter, wie es dem Gewohnheitsrecht der EU entspricht, fast nur deutschen Adern ab. Solches nimmt man eher gelangweilt zur Kenntnis. Schwerer fällt ein anderer Aspekt in die Waagschale. Das Management der Ausstellung will die geplante EU-Osterweiterung ideologisch salben, nicht viel anders, als dies früher Bischöfe und Päpste mit Königen und Kaisern taten. "Wie die Vergangenheitsbilder des 19. Jahrhunderts", schreiben die Macher, "von einer nationalen Perspektive geprägt sind, so ist auch unser heutiges Geschichtsbild an unsere gegenwärtigen zeitlichen und örtlichen Standpunkte gebunden." Nimmt man diese Behauptung für bare Münze, dann wären Historiker gebildete Hofnarren, die dem Troß des Fürsten folgen, gekrönten Häuptern mittels Texten oder Museen Luft zufächeln und eilfertig die Fahne nach dem Wind drehen!

Daher verwundert es nicht, daß acht katholische Eminenzen, die ihr heiliges Rom ins rechte Licht zu stellen wünschen, das "geistliche Patronat" der Ausstellung innehaben. Diesen erlauchten Reigen ergänzen einige weltliche Exzellenzen, nämlich die Präsidenten der fünf beteiligten Länder, darunter Johannes Rau. Ebenso melden sich das deutsche Außenministerium und der Kulturbeauftragte des Kanzlers zu Wort. Bei so- viel geballter Präsenz der Obrigkeit ist kritisch-nüchterne Analyse schwerlich zu erwarten. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", heißt es in einem klugen Sprichwort.

Keineswegs entspringen Nationalstaaten erst dem 19. Jahrhundert, sondern sie formierten sich in eben der Epoche, die zur Debatte steht. Davon will man im Gropiusbau nichts wissen. Unermüdlich wird die Verbundenheit des östlichen Mitteleuropa mit dem lateinischen Westen gefeiert. Gerade dieses Europa zerfiel aber schon damals, und darin beruht die Paradoxie, in nationale Eigentümlichkeiten vielfältigster Art.

Als Dreh- und Angelpunkt figuriert der von Visionen getriebene, höchst fragwürdige Kaiser Otto III., der das Römische Reich wiederherzustellen hoffte. Otto kürte nicht bloß Rom zu seiner Hauptstadt, sondern versuchte auch, Ostmitteleuropa an das Imperium zu binden. Genau 1000 besuchte der 20jährige Kaiser Polen, wo er Herzog Boleslaw Chrobry königliche Rechte verlieh und das Erzbistum Gnesen gründete. Etwa gleichzeitig erhoben die Ungarn, nach der Schlacht auf dem Lechfeld zur Seßhaftigkeit gezwungen, Stephan I. zum König, während in Böhmen Wenzel der Heilige eine parallele Funktion übernahm. Polen und Böhmen gingen aus dem Mährischen Reich hervor, ähnlich wie das Karolingerreich Frankreich und Deutschland geboren hatte. Die schicksalhafte Adaption des lateinischen Christentums in Ostmitteleuropa erfolgte im Kampf gegen Byzanz. Leider erwähnen die Veranstalter nicht, daß hier gleichsam die Urform des Ost-West-Gegensatzes begründet liegt.

14 Räume präsentieren ein breites Kaleidoskop des frühen mitteleuropäischen Lebens. Dazu gehören Herrschaftsinsignien weltlicher und geistlicher Art, Waffen, religiöse Bücher, Urkunden, Münzen und Werkzeuge, Modelle mittelalterlicher Burgen und Dörfer, Dokumentar-Spielfilme, die beispielsweise den Alltag in der Hafenstadt Wollin veranschaulichen. Besonderes Interesse gebührt den – allerdings nachgebildeten – Kronen von Ungarn und dem Reich sowie der Heiligen Lanze. Helm und Kettenhemd des Heiligen Wenzel sind immerhin echt.

Die Ausstellung wirkt konfus strukturiert; oft gibt es nur dürftige Erläuterungen, so daß historische Laien zu stöhnen anfangen. Auch den Verantwortlichen entging dies offenbar nicht; sie verweisen auf zwei Handbücher und einen Katalog, welche die Lücken stopfen sollen und satte 149 Mark kosten. Wer diese dickleibigen Wälzer erstehen möchte, benötigt dazu fast einen Koffer.

Der katholische Firnis, der die Ausstellung bedeckt, verhüllt wichtige Tatsachen. Polen, Böhmen und Ungarn befehdeten einander erbittert, wobei sich am meisten Boleslaw Chrobry profilierte, und akzeptierten auch nicht widerspruchslos die deutsche Lehnsoberhoheit. Genauso hermetisch wird das totale Desaster der Rompolitik deutscher Kaiser verschwiegen. Spätestens in der Zeit des Staufers Friedrichs II. endete der römisch/deutsche Universalismus mit einer Katastrophe, die Mitteleuropa politisch und langfristig auch wirtschaftlich ruinierte.

Keine Frage, daß Leute wie Schröder und Fischer, assistiert von diversen Magnifizenzen, die zum Scheitern verurteilte Rompolitik Ottos III. auf ihre Art fortsetzen. Somit verkörpern sie, die vermeintlichen Super-Europäer, ohne es zu ahnen, spezifisch deutsche Traditionen.

Daß West- und Osteuropa eng kooperieren sollten, bezweifelt niemand. Ob jedoch die heutige EU dafür den besten Rahmen bietet, bedarf kritischer Reflexion.

 

Ausstellung: Europas Mitte um 1000. Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Straße 7. Tel: 030 / 254 86 788 Täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr, Sa. bis 22 Uhr.


 
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