© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001


Merkels Mitte
von Jörg Fischer

Sie spürte den wachsenden Druck in den vergangenen Wochen, und um dem Bayern nicht kampflos die Kanzlerkandidatur zu überlassen, rief sie ihren PR-Berater an und bat um einen passenden Text. Und so geschah es, daß das sagenumwobene Merkel-Papier am 6. Juni in der Welt exklusiv präsentiert wurde. Leider lösten die Thesen keine inhaltliche Diskussion aus, vielmehr stellte der Blätterwald lapidar fest, die CDU-Vorsitzende habe damit ihre Führungsrolle in der Partei deutlich unterstrichen. Möglicherweise war auch nicht mehr beabsichtigt, denn was man in dem Strategiepapier lesen kann, hat so viel Tiefgang wie ein Werbetext. Angela Merkel will nicht "die Mitte" für sich gewinnen, nein, sie wirbt für eine "moderne Politik der Mitte".

Merkels Konzept soll in eine Wir-Gesellschaft münden, in der jeder seinen Platz hat, selbstverantwortlich, tolerant, gebildet, gesichert, froh und frei. Das ist die heimelige Welt, in der Ehrlichkeit Gerechtigkeit schafft, in der Offenheit Wohlstand fördert und in der Verläßlichkeit Freiheit sichert. Die Heimat wird zur schützenswerten Orientierungshilfe, weshalb das Einwanderungskonzept der CDU auch Sprachkurse für Ausländer vorsieht. Klingt schön.

Daß "Beginn und Ende des menschlichen Lebens (...) verläßlich vor Manipulation geschützt" werden müsse, zielt auf die Embryonen-Forschung und die Gefahr der legalisierten Sterbehilfe, klingt aber im Land der hunderttausendfachen Abtreibung reichlich zynisch. Letztlich unterstreicht das Papier einmal mehr, daß man konservative Politik von der Union auch in Zukunft nicht mehr erwarten darf.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen