© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
Zu allem bereit – immer bereit
Berlin: CDU-Regierungschef Diepgen vor der Abwahl / PDS will SPD-geführten Senat stützen / FDP spielt nützlichen Idioten
Markus Schleusener

Das Eis, auf dem sich die Berliner CDU bewegt, wird immer dünner. Das ursprünglich von der FDP initiierte Volksbegehren für Neuwahlen hätte sich monatelang hinziehen können. Erst Grüne und PDS, die sich spontan anschlossen, brachten die breite Basis mit, die so etwas kurzerhand bewerkstelligen könnte. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse, und die Sozialdemokraten kündigten am vergangenen Mittwoch die Große Koalition auf.

Blitzartig wurde der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit, von dem die Berliner lediglich seine sexuelle Präferenzen kennen ("Ich bin schwul, und das ist auch gut so"), von den Delegierten eines Sonderparteitages einstimmig als Spitzenkandidat auf den Schild gehoben. Am kommenden Sonnabend wollen SPD, Grüne und PDS in einer konzertierten Aktion den Diepgen-Senat aus den Angeln heben und den 47jährigen Juristen Wowereit zum Chef eines von der PDS geduldeten rot-grünen Minderheitssenat wählen. Bisher läuft alles reibungslos. Es scheint von langer Hand vorbereitet gewesen zu sein. Und in der Tat hat es vor geraumer Zeit ein Treffen der drei linken Fraktionsvorsitzenden Wowereit, Wolf und Wieland gegeben. Die drei Teilnehmer hielten es nicht einmal für nötig, ihre konspirative Übereinkunft im Gästehaus des Senats geheim zu halten.

Bemerkenswert ist die innere Ruhe, mit der die Sozialdemokraten diese urplötzliche Wende herbeiführen. Keiner der bekannten Spitzengenossen – von Parteichef Peter Strieder bis zum Ex-Regierenden Walter Momper – meldete eigene Ansprüche auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters an. Und selbst der moderate Schulsenator Klaus Böger, Wowereits Vorgänger als Fraktionschef, erklärte sich vom ersten Tag an zu einer Kooperation mit den SED-Nachfolgern bereit.

Der neue Senat soll nur mit dem Ziel installiert werden, schnell Neuwahlen herbeizuführen. So kann die einst dominierende Stellung der CDU gebrochen werden. Die Umfragen signalisieren der Union wegen der Finanzkrise nur noch magere dreißig Prozent (nach 40,8 Prozent bei der letzten Abgeordnetenhauswahl im Oktober 1999). Diese Chance durfte die politische Linke der Hauptstadt nicht ungenutzt verstreichen lassen. Der neue Senat wird mit vorausichtlich drei Senatoren von den Grünen so zusammengesetzt sein, daß er die Union zu Neuwahlen provozieren muß.

Diepgen und seine verbliebenen Anhänger versuchten zuletzt mit harmlosen Tricks, die drohenden Wahlen hinauszuzögern, um ein Desaster zu verhindern. Aber auch die Personalspekulationen in den eigenen Reihen sind wenig hilfreich, die eigene Position zu festigen. Von Volker Rühe über Angela Merkel bis hin zu wenig profilierten Landespolitikern werden immer neue Kandidaten für die Diepgen-Nachfolge ins Spiel gebracht. Zu allem Unglück drängt die offenbar völlig instinktlose Bundesvorsitzende ihre Berliner Parteifreunde zu einem möglichst frühen Wahltermin. Das Gespür für Macht ihres großen politischen Übervaters Helmut Kohl scheint sie nicht geerbt zu haben.

Das wirft die Frage auf, wie es nach den vermutlich im September stattfindenden Wahlen weitergeht. Die Sozialdemokraten haben überdeutlich signalisiert, ein Bündnis mit der PDS einer Neuauflage der Großen Koalition vorziehen zu wollen. Die linke Mehrheit ist einfach zu groß, als daß sie dieser Variante auf ewig entsagen konnten. Die PDS ihrerseits wird vermutlich sogar zu einigen vordergründigen Kompromissen bereit sein. Ihr Ziel ist es, erstmals in einem (halben) West-Bundesland politischen Einfluß auszuüben. Für die Marxisten ist dies späte Genugtuung – und ein Sieg über die westliche Stadthälfte, der ihnen jahrzehntelang von amerikanischen Soldaten verwehrt worden ist.

Die CDU setzt auf diese Denkmuster, wenn sie jetzt einen antikommunistischen Wahlkampf gegen die "linke Verschwörung" einleitet. Klaus-Rüdiger Landowsky, Diepgens abgehalfterter Mann fürs Grobe, der mit der Annahme einer Parteispende in Höhe von 40.000 Mark den Sturz seines Duz-Freundes einleitete (JF 08/01), will schon jetzt die "Bürgerlichen und Aufrechten" der Stadt sammeln, die sich der roten Mehrheit widersetzen.

Bei der FDP droht er auf taube Ohren zu stoßen. Jahrelang von Seiten der CDU gedemütigt, haben die Liberalen den Sturz des Diepgen-Senats eingeleitet. Ihr Vorsitzender Günther Rexrodt zeigt sich lieber mit Gregor Gysi in der Öffentlichkeit beim Sammeln von Unterschriften gegen den Senat. Und prompt ist er Gast in Talkshows sowie begehrter Interviewpartner der Lokalpresse. Der ehemalige Wirtschaftsminister verleiht der neuen Volksfront den demokratischen Anstrich.

Wieweit die Liberalen damit ihre Wahlchancen wieder zunichte gemacht haben, wird sich zeigen. Seit zehn Jahren ist die FDP nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten; bei der letzten Wahl 1999 kam sie gerade noch auf 2,2 Prozent der Stimmen. Sollte die FDP jetzt ins Parlament einziehen, würde sie allerdings zu einem entscheidenden Faktor. Wowereit und seine Genossen könnten mit einer Ampelkoalition die sonst unvermeidliche PDS-Beteiligung am Senat verhindern. Hier tut sich eine Chance für die FDP auf, falls Rexrodt diese nicht mit seiner demonstrativen Zuneigung zu Gregor Gysi längst wieder zunichte gemacht hat.

In der FDP ist die neue Entspannungspolitik ihres Vorsitzenden auch nicht unumstritten. Im Internetforum häufen sich wüste Beschimpfungen gegen die Anbiederung an die extreme Linke. Auf einer Sitzung mittlerer Funktionsträger ging es diese Woche hoch her. Auch Parteilinke sehen einen Tabubruch in Rexrodts Schmusekurs mit der PDS.

Gleichzeitig versucht der Ex-Minister noch immer, mit seinen renitenten rechten Parteifreunden aufzuräumen. In Tempelhof/Schöneberg, dem größten Bezirksverband und Hort der Nationalliberalen, ist seine Offensive vorerst zum Stehen gekommen. Innerparteiliche Gerichtsurteile haben die willkürlichen Eingriffe in die Mitgliederstatistik durch den Landesvorstand der Partei rückgängig gemacht. FDP-intern wird der Führung von den FDP-Rechten die "Abschaffung des innerparteilichen Demokratieprinzips" vorgeworfen. Im Zusammenhang mit seiner Rolle als Steigbügelhalter der SED-Nachfolger verdient dieser Vorwurf besondere Aufmerksamkeit.

Parteivorsitzende Günter Rexrodt (FDP), Regina Michalik (Grüne) und Petra Pau (PDS): Die drei Landespolitiker starteten die Initiative "Neuwahlen Jetzt"


 
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