© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
CD: New Acoustic
Nicht mehr cool
Silke Lührmann

Langsam, aber sicher geht die Insel unter. Nachdem das 20. Jahrhundert das britische Empire zerkrümelt hatte, brachte die Wende zum 21. das Aus für "Cool Britannia" – die in den 1990er Jahren ausgerufene moderne Monarchie und dynamische Demokratie –, genauso wie es der Wahlengländer T. S. Eliot einst der ganzen Welt prophezeit hatte: "not with a bang but with a whimper". Die professionell vermarktete Sonnenfinsternis am 11. August 1999 fiel buchstäblich ins Wasser und bescherte der Tourismusbranche hohe Verluste statt der erhofften Mehreinnahmen. Im Bann des virtuellen Startup-Booms kam London kurzzeitig wieder ins Schwingen – Todeszuckungen, wie sich mittlerweile gezeigt hat. Nicht einmal das "Millennium Wheel", das Riesenrad an der Themse, konnte rechtzeitig zur Jahrtausendwende in Betrieb genommen werden. Britpop-Vorreiter wie Oasis, Blur und Pulp versanken in der Bedeutungslosigkeit; das Wembley-Stadium, das sie in besseren Zeiten mühelos füllen konnten, mußte abgerissen werden.

"Wenn der Lehrer auf der Tanzfläche zu ’Wonderwall‘ ausflippt", meinte unlängst metaphorisch ein Kommentator in der Sunday Times, dann sei das nicht mehr cool, sondern "höchste Zeit, den Strom abzudrehen und von nun an bei der Bushaltestelle rumzuhängen". Selbst den schottischen Fäkaliendialekt und die ewigen Drogenergüsse des "Trainspotting"-Autors Irving Welsh scheinen die Kritiker leid zu sein; sein neuer Roman wurde nur noch negativ besprochen. Hochkonjunktur erleben dagegen Weltentwürfe wie Nick Hornbys ("High Fidelity") und Helen Fieldings ("Bridget Jones"), die von als Weltschmerz verkleidetem Selbstmitleid nur so triefen.

Obwohl die Briten in diesem Frühjahr brennender Leichenhaufen und allgemeiner Belagerungsstimmung Grund genug zum Jammern gehabt hätten, klingt ihr neuester Exportartikel weit weniger wehleidig als Travis, Ash oder Coldplay, lange nicht so klamm wie Moby oder Badly Drawn Boy: Das erste Album der Turin Brakes heißt – so programmatisch wie ironisch – "The Optimist LP", einer der stärksten Songs darauf "Future Boy".

Während so manche britische Gruppe, die zu Hause den Durchbruch nicht schafft, auf Europatournee geht, um sich von dem "anspruchsloseren" kontinentalen Publikum bejubeln zu lassen, kamen Turin Brakes mit allerbesten Empfehlungen. Ihre Plattenfirma Source präsentierte sie zusammen mit dem norwegischen Duo Kings of Convenience und anderen Nutznießern des heraufziehenden akustischen Revivals. Auf ausverkaufte Hallen folgten enthusiastische Kritiken in der heimischen Presse, und die frühzeitig als "new Simon and Garfunkel" gefeierten Kings of Convenience durften mit ihrem Albumtitel die Parole ansagen: "Quiet Is The New Loud".

Bei einem Auftritt in Berlin gelang es Turin Brakes vor kurzem, ein gelangweiltes, ungeduldiges Montagabendpublikum vergessen zu lassen, daß die Arbeitswoche gerade erst begonnen hatte. Olly Knights und Gale Paridjanian, die die Band nach eigenen Angaben erst im letzten Jahr gegründet haben, spielten begleitet von Schlagzeug, Bass, Keyboard und Percussion so lange Zugaben, bis ihnen das geprobte Material ausging.

Die Lieder der Turin Brakes zeugen ein Niemandsland glasklarer Sinneseindrücke, irgendwo zwischen Alptraum und Paradies, wo schräge Traumtänzerei von einem Wort zum nächsten in echte Bedrohung umschlagen kann. In seiner Kindheit notgelandet, nachdem ihm die Zeitmaschine abgestürzt ist, will der Zukunftsjunge tatsächlich unsere Babys entführen – aber nur, um ihnen eine bessere Welt zu zeigen. Reime schlängeln sich hypnotisch um plätschernde Gitarrenakkorde. Diese Musik ist keine Pose, sondern Passion, die durch Leib und Seele vibriert. Kühl ist das tatsächlich nicht mehr, dafür um so erfrischender.


 
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