© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
Kreisläufe zwischen Himmel und Erde
Heidnisches Sonnenwendritual als Gegenpol zu den "gewalttätigen" Naturvorstellungen des Christentums
Claus-M. Wolfschlag

Am 21. Juni ist es wieder soweit. Das astronomische Solstitium steht bevor. Dann ziehen viele mit Reisigbündeln und Streichhölzern auf die Wiesen, um dem himmlischen Feuerball zu huldigen. Einige sind jetzt schon in banger Erwartung der kommenden Dinge, andere schreiben zudem Bücher darüber, wie Björn Ulbrich und Holger Gerwin.

Die "Edition Björn Ulbrich" des thüringischen Arun-Verlages stellt eine lose Reihe von Ratgeber- und Nachschlageliteratur für vorbildhaftes, modernes naturreligiöses Leben dar. Die neueste Veröffentlichung – es handelt sich um Band 5 – beschäftigt sich eingehend mit dem alten Ritual der Sommersonnwende. Zur Gestaltung von Feiern bietet dieses Handbuch "Der Tag der Sonne" nun zahlreiche Ratschläge, die von der Gestaltung der "Heiligen Mitte", also eines Altars, über die Herstellung von Symbolgebäck oder Feuerrädern, die Errichtung des Feuerstoßes, den Ablauf von "Mysterienspielen", Feuersprüngen oder Sonnwendtänzen, bis zur Schwitzhüttenzeremonie reichen.

Eingehend werden dabei die spirituellen Hintergründe des Sonnwendgeschehens erklärt, das im Zuge der christlichen Assimilierungsstrategie heidnischer Elemente auch als Johannisfeuer das Brauchtum des Volkes mitbestimmt. Die Zeit der Sonnwende fällt in die vegetative Übergangsperiode zwischen der Blüh- bzw. Wachstumsphase und der Reife- bzw. Früchtezeit. Die Sonne befindet sich an ihrem höchsten Stand, ihr Lauf wird durch die weitverbreitete Sitte nachgeahmt, brennende Räder Abhänge herunterrollen zu lassen und glühende Holzscheiben durch die Luft zu werfen.

Ulbrich und Gerwin interpretieren den spielerischen Umgang mit der reinigenden Kraft des Feuers als Fruchtbarkeitskult von "fröhlicher, lebensbejahender und erotischer Natur". Diese Befindlichkeit setzen sie in bewußten Gegensatz zum christlichen Monotheismus mit seinem als vorderasiatisch interpretierten Schuld- und Jenseitsglauben. Das von den Autoren propagierte Neuheidentum erkennt den Mensch als Zwitter zwischen Geist und Körper, Ratio und Emotion. Der Homo Sapiens der Moderne sei allerdings einseitig auf das Materielle und den sogenannten Verstand orientiert, wodurch seine Möglichkeiten zur Erfassung des eigenen Wesens eingeschränkt seien. Die Verbindung zur Göttlichkeit der Natur diene somit der Selbsterkenntnis des Menschen. Dies sei die Grundessenz von Religion, die in keinem Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Wissen steht.

Ulbrich und Gerwin setzen von dieser Warte heraus das abendländische Christentum einer fundamentalen Kritik aus, die viele überlegenswerten Ansätze, aber auch einige Einseitigkeiten beinhaltet. Das staatlich geförderte Christentum wird dabei in seiner Geschichte als gewalttätige Verkörperung nahöstlicher Naturvorstellungen urd Kontrollideen angesehen. Über die Jahrhunderte seiner Herrschaft habe es Millionen von Toten unter den Heiden, Ketzern, Hexen, Juden, Buddhisten und Naturvölkern zu verantworten. Diese Verbrechensbilanz ist, wenngleich man die spezifischen geschichtlichen Bedingungen sowie zusätzliche Faktoren, beispielsweise wirtschaftliche Interessen der historisch Beteiligten, berücksichtigen muß, leider noch viel zu wenig erforscht und publiziert. Bei dieser Kritik allerdings sämtliche christlichen Grundgedanken von vornherein zu verwerfen, wird den auch im Christentum steckenden Archetypen nicht gerecht, schließlich können auch Heiden die menschlichen Urwünsche nach Erlösung in einem Paradies, das die irdischen Leiden aufhebt, nach Ausbruch aus den Naturkreisläufen hin zu einem höheren Status und die Auseinandersetzung mit eigener Schuldhaftigkeit nicht gänzlich beiseite schieben. Dennoch, Ulbrichs und Gerwins Überlegungen sind diskussionswürdig, eine gelungene Anleitung für die praktische Durchführung naturreligiöser Feiern ist "Der Tag der Sonne" allemal.

 

Björn Ulbrich, Holger Gerwind: Der Tag der Sonne. Lebendige Zeremonien und zeitgemäßes Brauchtum zur Feier der Sommersonnwende, Arun-Verlag, Engerch 200, brosch., 128 Seiten, ca. 100 Abb., 29,80 Mark


 
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