© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
Zynisches aus dem Kulturtagebuch
Max Goldts bissige Kolumnen "Der Krapfen auf dem Sims"
Tobias Wimbauer

Max Goldt, geboren 1958, ist Schriftsteller und berühmt-berüchtigt für sarkastische Kolumnen, "Nicht-Kolumnen" (Goldt) und Texte in der Satirezeitschrift Titanic. Einen neuen Band mit "Betrachtungen, Essays u.a.", wie der Titel als Gattungsbezeichnung ausweist, hat Goldt nun im Alexander Fest Verlag veröffentlicht. Zweiundzwanzig Beiträge, skurril bebildert mit absurd unterschriebenen Fotos, vereint unter dem programmatisch zu verstehenden Titel "Der Krapfen auf dem Sims".

Gleich zu Beginn widmet Goldt sich dem Unterschied zwischen Zyniker und Sarkast. Zu welcher dieser Spezies Max Goldt sich selbst zählt, bleibt offen, wobei kaum zu vermuten ist, daß ihn derlei Schubladen überhaupt interessieren. Goldt ist beides zugleich, wenngleich, worauf er hinweist, Zynismus und Sarkasmus eine ebenso geringe inhaltliche Beziehung hätten wie die Begriffe Erdbeere und Dachdecker, obwohl es wohl kaum einen Dachdecker gebe, der noch nie eine Erdbeere verspeist habe.

Goldt nimmt in seinen "Betrachtungen" alles aufs Korn, das sich ihm darbietet und das man "eigentlich" nicht verspottet. Ein ihm besonders liebes Ziel ist das Heiligtum der Neumittisten: die political correctness. Goldt schreibt beispielsweise gegen die Perfidie der Spendenaufrufe zugunsten von Kindern in Kriegsgebieten: "Warum sollen denn nun Kinder ausgerechnet unter einem Krieg mehr leiden als Ältere? Wer maßt sich an, die Nöte eines Soldaten im Schützengraben für geringer zu erachten als die eines Kindes?" Die Antwort wird sogleich geliefert: "Das Mitleid mit dem Kind ist größer, weil es beim Leiden niedlicher aussieht."

Besonders angenehm ist Goldts Empfinden für Sprache und Stil anderer, etwa die Vermeidung der blödsinnigen Wendung, daß etwas Sinn "macht", ein Wort der Schröderisten ("Kanzler Schröder und alle die schrecklich vielen Menschen, die auch so sind wie er"), die am liebsten "vor Ort" sind und"Angedachtes hinterfragen"… Goldt also erfreut sich an der Formulierung, daß etwas Sinn ergibt, und erhält dafür einen Bonuspunkt in der Kulturskala. Da ist es nicht weit bis zur Kritik am Sprachverfall durch die korrekturlose Versendung von e-Post-Nachrichten, die prompt erfolgt, Goldt konstatiert "submongoloide Sprachqualität" und hebt an zu einer Kulturkritik, die einhergeht mit dem Lob der guten, alten Briefpost, die es dem Empfänger selbst überlasse, wann er sie wahrnehme, indes durch Fernbrief und Telefon der "Fluß der Gedanken" zerfetzt werde. "Und was man erst alles (an Unwichtigkeiten) abzuhören und anzuschauen hat, wenn man von einer Reise zurückkehrt! Um ja nichts zu verpassen, kontrolliere man am besten immer alle Dreckecken in seiner Wohnung, denn es könnten sich dort ja schon wieder irgendwelche neuen Medien gebildet haben, die niedere Botschaften ausspeien wollen."

An einer Bänderzerrung erkrankt, widmet sich Goldt der Lektüre der Memoiren Leni Riefenstahls und rügt einen Gast, der eine Jünger-Biographie als Bierdeckelersatz verwendet.

Miniaturen wie die einer Chinareise oder die Bezeichnung der Aktion "Schulen ans Netz" als "Abnippeln einer jahrhundertealten Kulturtechnik", der Handschrift, sind als Beispiele der zahlreichen Höhepunkte zu bezeichnen. Die Chinesen mag Goldt nicht besonders, das wird deutlich. Aber er kann sich einer gewissen Faszination am asiatischen Bürokratismus und Formularwahn nicht entziehen, vielleicht, weil sich darin ein deutsches Problem spiegelt. Und so geht Goldt auch lieber zu einem "ironiefreien Chinesen", dessen Akupunkturbefähigungszeugnis "in einem Tuntenbarock-Rahmen im Sprechzimmer" hängt, als zu dem jungen Alternativdottore, dessen Eitelkeit sich in der "Inszenierung von Selbstironie" manifestiert, in der er auf der Toilette sein Zertifikat aufhängt.

Zuletzt sei ein Absatz zur BSE-Krise zitiert, der den Wahn moderner Medien-Hysterie anschaulich beleuchtet: "Zur Kenntnis nehmen muß man, daß man Tieren nur dann Respekt entgegenbringt, wenn sie das Etikett ’vom Aussterben bedroht‘ tragen. Vor ca. zwei Jahren hat man ja mehrere Millionen Rinder schnell mal einfach so getötet, weil eventuell, unter ganz bestimmten Voraussetzungen, irgendein Wurstverzehrer oder vielleicht zwei gesundheitlichen Schaden hätten nehmen können. Ein großes Medienthema war diese Massentötung leider nicht. Wegen der Großtrappen aber, also jener seltenen Laufvögel, von denen es nördlich von Berlin noch einige Dutzend gibt, hat man sogar die Trasse des ICE zwischen Hamburg und Berlin anders gelegt als ursprünglich geplant. Übertrüge man diese Bevorzugung des Seltenen gegenüber dem Häufigen und der Spezies gegenüber dem Individuum auf den Menschen, würde es darauf hinauslaufen, daß man nur Goldschmiede, Harfenisten und Lyriker am Leben ließe und z.B. Arbeiter und Beamte, wenn sie, was ja passieren kann, im Wege stünden, allesamt abknallte. Das würde in der Bevölkerung zu einer gewissen Unzufriedenheit führen, hoffentlich bis wahrscheinlich sogar unter Goldschmieden, Harfenisten und Lyrikern." Die Goldtschen Texte füllen vorzüglich ein oder zwei Stunden amüsanter Lektüre. Wer skurrilem Humor zugeneigt ist, kommt bei dem "Krapfen auf dem Sims" auf seine Kosten.

 

Max Goldt: Der Krapfen auf dem Sims. Betrachtungen, Essays u.a. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, 184 Seiten, 29,80 Mark


 
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