© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
CD: Pop
Jenseits des Neons
Holger Stürenburg

Nach Nik Kershaw tritt in diesen Tagen ein weiterer Held des Achtziger-Pop mit einem neuen Album an die Öffentlichkeit: Marc Almond (45), frankophiler Brite mit ausgeprägtem Hang zu schwülstigen Popballaden mit Chansoneinflüssen, hat jetzt sein neues, insgesamt dreizehntes Album "Stranger Things" veröffentlicht. Manchem wird Almond noch als Teil des kreativen Synthipop-Duos Soft Cell ein Begriff sein. Gemeinsam mit seinem Partner David Ball kreierte er zu den Hochzeiten des New Romantic-Pop eingängige, tanzbare Lieder wie den europaweiten Nr.-1-Hit "Tainted Love" oder das herbstlich-warme "Say Hello, Wave Goodbye". 1984 trennten sich Almond und Ball nach drei gelungenen Waveplatten; Ball zog sich zurück, Almond startete eine Solokarriere. Es gab avantgardistische Versuche als "Marc & the Mambas", das Independent-Meisterwerk "Stories of Johnny" oder mehrere Alben mit aufgemotzten Neueinspielungen von Jacques-Brel-Klassikern. Ende der Achtziger hatte Marc Almond mit seinem bislang poppigsten Album "The Stars we are" und besonders den beiden Singleauskoppelungen daraus, "Tears run rings" (1988) und "Something’s gotten hold of my Heart" (1989), in Deutschland veritable Hits einfahren können. Danach wurde es ruhig um den Gossenchansonnier, der am liebsten in Bordellen oder Kirchen auftrat. Zwar ist vielen noch heute sein damaliger Hit "The Days of Pearly Spencer" gut im Ohr, aber ansonsten vernahm man von Marc Almond nichts mehr. Er verlor seinen Vertrag bei der EMI und kam bei dem französischen Label XIII BIS Records unter. Sein letztes, dort veröffentlichtes Album "Open all Night" beinhaltete Trip-Hop- und Jazzanleihen und ging gnadenlos unter.

Nun gibt es ein neues Album, das beinahe an Marc Almonds beste Tage anschließt. Er betreibt auf "Stranger Things" nämlich das, was er am besten kann: Das Schreiben, Komponieren und Arrangieren bombastischer Popballaden aus dem dunklen Großstadtleben. Sämtliche elf Songs von "Stranger Things" entfalten ihren eigenständigen, fremdartigen Charme. Es geht um Frohlockungen ("Glorious"), Rücktritte ("Born to cry"), Fackeln ("Tantalise me") oder das Flehen, sich selbst zu befreien ("Come out"). Ohne zu moderne Anklänge bei Rhythmus und Einspielung setzt Almond auf warme, weiche Töne, die ab und zu etwas deprimiert ("End in Tears"), oft aber auch nur melancholisch-hoffnungsvoll wirken ("When it’s your Time"). Die Songs vermitteln Stimmungsbilder ausgelassener Frühlingsgefühle ("Lights"), des großen französischen Chansons ("Moonbathe Skin") oder scheinen direkt einer Stripteasebar entsprungen zu sein ("Dancer"). Tausende Streicher und Bläser scheinen die pompösen Balladen durch die düsteren Straßen jenseits der Neonlichtwelt zu treiben.

In Deutschland wurde man auf Almond in den letzten Monaten vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Rosenstolz aufmerksam. Er trug bei der deutschen Grand-Prix-Vorentscheidung die hysterische Klaus-Nomi-Komposition "Total Eclipse" gemeinsam mit der deutschen Untergrund-Pophoffnung vor. Auf "Stranger Things" gibt es als "Bonus Track" eine weitere Kooperation mit Rosenstolz zu hören: Deren letzten Hit "Amo Vitam", in lateinischer Sprache vorgetragen von den beiden stolzen Rosen und Marc Almond.

Im Herbst wird Almond mit seinem neuen Programm auf große Tournee gehen. Die Songs des neuen Albums fallen neben seinen Althits kaum ab. Almond seufzt sich durch die Untiefen der Emotionen – nur ein Ohrwurm ist auf "Stranger Things" nicht dabei. Alle Lieder brillieren auf einem hohen Niveau, keines jedoch will sich, wie einst "Tainted Love" oder "Tears run rings", in den Gehörgängen festsetzen. Bleibt zu hoffen, daß Almond auf seiner Tournee tief in seine Schatzkiste zurückgreift und die alten Lieder hervorholt.


 
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