© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Unterirdisch erglüht
Kino: "Shadow of the Vampire" von E. Elias Merhige
Werner Olles

Siegfried Kracauer beschrieb den Vampir Nosferatu, der nur sehr entfernte Ähnlichkeit mit dem literarischen Vorbild, Bram Stokers Dracula, aufweist, als "einen blutgierigen Tyrannen, eine Vision aus den Bereichen, wo sich Mythen und Märchen begegnen". Friedrich Wilhelm Murnaus (Geburtsname: Plumpe) "Nosferatu – eine Symphonie des Grauens" entstand 1921/22 – ganz im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheit des deutschen Films jener Zeit – nicht im Studio, sondern im Freien.

Murnau wollte die Natur als dramatisches Element in die Handlung miteinbeziehen, und so spiegelt sich das Auftauchen des Phantastischen und Unheimlichen auch zuerst in ihr, lange bevor die Menschen sich der Gefahr bewußt werden. Einmal ist es ein knorriger, lebloser Baum, ein andermal die vehemente Gewalt der Brandung, die auf die Ankunft des Vampirs verweist. Durch einige technische Kunstgriffe Murnaus, die später zu festen Stilmitteln des Genres werden, wird noch deutlicher, wie sehr die Natur selbst Züge des Phantastischen annimmt und die Sprache des Mythos spricht: Murnau blendet Einstellungen langsam ineinander über, Bewegungen in Zeit und Raum werden so erfahren.

Stark von der caligaristischen Richtung mit ihren expressionistisch vereinfachten Dekorationen beeinflußt, spielt Murnau in "Nosferatu" die Bedrohung direkt aus. Anfangs ist sie nur Teil eines Alptraums, der uns aus dem Dunklen heraus überrascht; zum Schluß wird der Zuschauer von der Furcht gepackt, daß es nicht nur einen Vampir gibt, sondern daß der Vampirismus womöglich die Grundlage unserer Existenz ist.

In E. Elias Merhiges Film "Shadow of the Vampire" geht es genau um jenen legendären Regisseur F.W. Murnau (John Malkovich), der in der Tschechei den größten und realistischsten Film aller Zeiten drehen will: "Nosferatu". Aber Murnau verbirgt vor seinem Team ein dunkles Geheimnis. Um sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen, hat er die Titelrolle mit einem echten Vampir, Max Schreck (Willem Dafoe), besetzt. Die ahnungslose Crew erfährt nur, daß Schreck seine Rolle sehr ernst nimmt und daß man ihn deshalb niemals bei Tageslicht und immer nur in seinem Kostüm zu Gesicht bekommt, ein echter method actor eben.

Tatsächlich sind die ersten Aufnahmen sensationell, aber schon nach kurzer Zeit beginnt Schreck, dessen Blutdurst niemals gestillt werden kann, das Filmteam nachhaltig zu dezimieren. Und während Murnau pragmatisch nach einem schnellen Ersatz für die von einer mysteriösen Krankheit befallenen und kollabierten oder in Trance versetzten Filmleute sucht, setzt Schreck ungerührt seine lautlosen Angriffe fort. Entsetzt über das, was er angerichtet hat, gesteht Murnau seinem Team endlich die grausame Wahrheit. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als den Film zu Ende zu drehen und den blendend weißen Hals der Hauptdarstellerin Greta Schröder (Catherine McCormack) dann – wie versprochen – dem Nosferatu zu überlassen.

Eigentlich ist die Erscheinung von Max Schreck in Murnaus Klassiker "Nosferatu" einzigartig und nicht wiederholbar. Aber Willem Dafoe bringt es in "Shadow of the Vampire" – der, auch wenn es einige sehr spaßige Szenen in dem Film gibt, viel weniger eine Parodie auf das Genre als vielmehr seine konsequente Fortsetzung ist – tatsächlich fertig, einen Schreck zu kreieren, der durch sein plötzliches und unerwartetes Auftreten noch dem längst veraltet geglaubten Repertoire des Gespenstischen entstammt. Seine Einsamkeit liegt nicht in der Einmaligkeit seiner Existenz begründet, sondern in der Entgeistigung seines Wesens. Doch während in Murnaus "Nosferatu" der Vampir als symbolisierte Pest von der Opferwilligkeit einer Frau – der von Greta Schröder dargestellten Ellen nämlich – besiegt wird, ist Dafoes Schreck eine unbekannte, dämonische Macht, die schicksalshaft über das Filmteam hereinbricht, eines der immer wiederkehrenden Grundmuster im Horror-Genre.

Der echte Murnau hat seinen "Nosferatu" übrigens 1930 als Tonfilm wiederaufführen lassen. Wenige Monate später kam er in Kalifornien bei einem banalen Verkehrsunfall ums Leben. In Emil Jannings Nachruf las man damals: "Von allen großen Regisseuren der stärkste Charakter, für keinen Kompromiß zu haben, unverführt von Geld. Jede Arbeit war ein Ganzes, unverbogen, geradlinig, konsequent. Wenn seine Arbeit kalt erschien, war sie doch unterirdisch erglüht durch das Feuer eines unbestechlichen Kunstwillens. Er war Pionier, Befruchter, Entdecker. Herb, gotisch, absolut. Stets Jahre voraus. Neidlos und bescheiden, immer einsam ..." In "Shadow of the Vampire" läßt uns Malkovichs Darstellung spüren, wie recht er damit hatte.


 
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