© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Die Alpen werden vom Transit überrollt
Umweltschutz: Für die EU ist der freie und billige Warenverkehr wichtiger als der Schutz von Mensch und Natur
Hans Kronberger

Mitteln und Tricks wider die guten Sitten wird versucht, die Widerstände der Mitgliedstaaten bzw. der transitgeplagten Bevölkerung brachial zu überrollen. Der Gipfel an Unverfrorenheit ist mit dem jüngsten Kommissionsvorschlag zur Änderung der Transitregelung in Österreich erreicht. Mittels einer Verordnung beabsichtigt die Europäische Kommission einen Anschlag auf den zwischen Österreich und der Europäischen Union rechtsgültigen Transitvertrag, um dadurch die für die EU lästigen, für den Schutz der Alpen und die dort lebende Bevölkerung jedoch notwendigen und vertraglich festgelegten Transitvereinbarungen aufzuheben.

Just jene 108-Prozent-Klausel, die bei einer Überschreitung des Lkw-Kontingents zu einer automatischen Kürzung im darauffolgenden Jahr führt, will die Kommission ersatzlos streichen. Sollte dieser Vorschlag tatsächlich realisiert werden, so droht eine gewaltige Lkw-Lawine über das ohnehin schon transitgeplagte Österreich hereinzubrechen. Denn mit einer Zunahme des Transitverkehrs von 52 Prozent seit 1993 sind die Belastungsgrenzen für Umwelt und Bevölkerung längst überschritten. Verkehrshöllen im Inntal und im Donaubecken gehören zum Alltag, von der enormen Lärm- und Emissionsbelastung ganz zu schweigen. Denn das eigentliche Ziel des Transitvertrages, nämlich eine Reduktion der Schadstoffbelastung aus dem Transitverkehr um 60 Prozent bis zum Jahr 2003, ist in weite Ferne gerückt. Tatsächlich haben die Emissionsbelastungen auf der Haupttransitstrecke, der Inntal-Brenner-Strecke bisher um 16 Prozent zugenommen. Kein Grund für die Europäische Union, ihre Verkehrpolitik zu überdenken. In regelmäßigen Abständen folgen Attacken von Kommission und Rat wie etwa Aufhebung der Wochenend- und Nachtfahrverbote, Reduktion der Mautgebühren oder Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Lkw-Kontingente, weswegen die EU erst im Februar dieses Jahres eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofes aufgrund einer Klage Österreichs einstecken mußte.

Aber nicht nur Österreich kämpft mit der Transitplage: Die 40-Tönner machen auch vor der Schweiz nicht mehr halt. Auf Druck der EU fiel mit dem EU-Abkommen vom 2. Dezember 1998 das bisher gültige 28-Tonnen- Limit für den Transitverkehr durch die Schweiz, und eine schrittweise Öffnung für 40-Tonnen-Lkw, beginnend ab dem Jahr 2001 bis zum Jahr 2005, erfolgt. Dies obwohl die Schweiz zum Schutz des Alpengebietes vor dem Transitverkehr über ein Gesetz verfügt, das den alpenquerenden Gütertransitverkehr von Grenze zu Grenze auf die Schiene verbannen soll. Nicht zu Unrecht meinte der Züricher SVP-Nationalrat Christoph Blocher schon am 30. August 1998 in der Neuen Züricher Zeitung: "Die EU will mit ihren 40-Tönnern auf die Straße. Und wir bauen ihnen trotzdem noch eine Bahn, eine sogar mit zwei Tunnels, die wir nicht einmal brauchen."  Anders hingegen der mit einem EU-Beitritt liebäugelnde schweizerische Bundesrat Moritz Leuenberger, der unverfroren am 2. März diesen Jahres der Frankfurter Rundschau erklärte: "Je mehr Hürden wir abbauen, desto selbstverständlicher kann der EU-Beitritt später werden. Das ist unsere Strategie." 

Seitdem legt das steig wachsende Transitchaos auch Schweizer Straßen lahm, denn auch dortige Gebirgsautobahnen sind, wie in Österreich, nicht für den Schwerverkehr konzipiert. Kilometerweite Lkw-Staus vor dem Grenzübergang nach Italien und unfallbedingte Verkehrszusammenbrüche erregen die Gemüter der Schweizer Bürger, führen zu immer mehr Protesten und verpesten die gute Alpenluft. Ähnliches spielt sich auf beiden Seiten des Montblanc-Tunnel in Frankreich und Italien ab. Seit der verheerenden Brandkatastrophe im März 1999 ist die Verbindung zwischen Frankreich und dem italienischen Aosta-Tal unterbrochen und damit zumindest vorübergehend Ruhe eingekehrt. Denn durch den im Jahr 1965 für jährlich 450.000 Durchfahrten konzipierten elf Kilometer langen Tunnel passierten zuletzt rund zwei Millionen Fahrzeuge, fast die Hälfte davon waren Lkws. Bürgerinitiativen haben bereits auf beiden Seiten des Tunnels 150.000 Unterschriften gesammelt, um die Rückkehr der Lastwagen zu verhindern. Darüber hinaus haben mehr als 100 Umweltverbände aus allen Alpenländern ein Manifest unterzeichnet, das die Sperrung des Tunnels für Lastkraftwagen und eine Abkehr von der herrschenden Transportpraxis verlangt.

Eine Forderung, die sich in immer mehr transitgeplagten Alpenländern schlagartig ausweitet. Schon 1991 unterzeichneten sieben Alpenländer das Übereinkommen zum Schutz der Alpen (Alpenkonvention), nach dem "Belastungen und Risiken im Bereich des inneralpinen und alpenquerenden Verkehrs auf ein Maß zu senken sind, das für Menschen, Tiere und Pflanzen sowie deren Lebensräume erträglich ist". Ein guter Ansatz, den auch die EU als Vertragspartei mitträgt, wenn nicht die Verhandlungen für die tatsächlichen "Leitsätze zur Umsetzung der Alpenkonvention" zehn Jahre in Anspruch genommen hätten. Bleibt nur zu befürchten, daß für die Realisierung von Maßnahmen zu einer wirklich nachhaltigen Verkehrspolitik ein weiteres Jahrzehnt verstreicht.

 

Dr. Hans Kronberger (50), Journalist, ist seit November 1996 Mitglied des EU-Parlaments. Für die FPÖ ist er Mitglied im Ausschuß für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz. 1991 wurde er in Berlin mit dem Günther-Pesch-Kulturpreis ausgezeichnet. 1995 erhielt er den Europäischen Solarpreis für Publizistik. 1997 erschien sein Buch “Der sanfte Weg ­ Österreichs Aufbruch ins Solarzeitalter". 1998 erschien “Blut für Öl ­ Der Kampf um die Ressourcen² (beide Michaels-Verlag; Uranus Verlagsgesellschaft). Im Internet unter www.kronberger.net


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen