© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   28/01 06. Juli 2001


Der Ton wird schärfer
Die Wahlen in Hamburg und Berlin könnten das Parteiensystem sprengen
Ronald Gläser

Auch im Zeitalter der Spaßgesellschaft ist eine erstaunliche Re-Politisierung der Bürger möglich: Durch den konservativen Berliner Bezirk Wilmersdorf zog am Himmelfahrtstag eine Gruppe der Malteserjugend mit ihrer Fahne. Diese zeigte das weiße Kreuz auf rotem Hintergrund. Ein aufgebrachter Passant sah nur noch rot und brüllte: "Haut ab, Ihr Scheißkommunisten!" Edmund Stoiber und Angela Merkel dagegen mußten am Montag dieser Woche in Ost-Berlin ihren Wahlkampfauftakt abbrechen, weil PDS-Sympathisanten die Unionspolitiker mit Eiern und Flaschen bewarfen.

Die nächsten beiden Landtagswahlen könnten ein Erdbeben in der deutschen Parteienlandschaft verursachen. Mit dem Ende der Bonner Republik ist auch das Bonner Parteienkartell aufgebrochen worden. In Hamburg und Berlin zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, der die überholten Machtstrukturen in Ost und West gleichermaßen ad acta legen wird.

In Hamburg steht das Ende der ältesten und verfilztesten SPD-Regierung bevor. Seit fast 50 Jahren regieren Genossen die Hansestadt. Es ist kein Wunder, daß sie die staatlichen Behörden und Ämter für ihr Eigentum halten. Die vorherrschende Parteibuchmentalität lädt zu Vergleichen mit dem maroden SED-Staat von 1989 ein. Die demoskopisch analysierte Wechselbereitschaft der Wähler war nie größer als heute. Bei der Bürgerschaftswahl am 23. September droht der SPD der Verlust ihrer Regierungsmacht.

Hinzu kommen die gebrochenen Wahlversprechen der Genossen, die sich 1997 die innere Sicherheit auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Ein Gang durch den Hamburger Hauptbahnhof, wo afrikanische Drogendealer ihre Produktpalette offerieren, ist eine lehrreiche Erfahrung. Selbst die SPD-nahe Polizeigewerkschaft und die von der SPD inthronisierte Richterschaft begehren gegen Bürgermeister Ortwin Runde auf. Hier ist der Erfolg von "Richter Gnadenlos" begründet. Ronald Schill bringt die letzten notwendigen Stimmen für den Machtwechsel mit. Ohne ihn ist ein Neuanfang in Hamburg undenkbar. Die CDU wäre auch weiterhin chancenlos, wenn sie ihre selbstverschuldete Unmündigkeit aufrechterhielte. Die babylonische Gefangenschaft der Union hat sich gerade in Frankfurt wieder bestätigt. Hier scheiterte der absurde Versuch, mit den Grünen eine Koalition zu bilden. In Hamburg dagegen befürwortet der CDU-Spitzenkandidat erstmals eine Koalition mit einer rechts stehenden Partei.

Die Ausgrenzung rechter Parteien hat der Union nichts eingebracht. Sollten Ole von Beust und die FDP jetzt mit Richter Schill die jahrelange Dominanz der Genossen brechen, so würde dies eine Trendwende einleiten. Kurt Schumacher hat einmal gesagt, die Deutschen würden so weit rechts wählen, wie es ihnen erlaubt werde. Von Beust nimmt nun Schill gegen Vorwürfe – auch aus der eigenen Partei – in Schutz und sagt, dieser sei "rechts", aber nicht "rechtsradikal". Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, den meisten besser bekannt als "Schill-Partei", könnte zum Eisbrecher und danach zum Selbstläufer werden. In der Hauptstadt dagegen beerdigt die SPD den letzten inneren Widerstand gegen die gewendete Stacheldrahtpartei SED. Vorsichtig tasteten sich die SPD-Genossen an die PDS-Genossen auf kommunaler Ebene heran. Einige Wochen vor der Abwahl Diepgens legten sie dann bei einem Spitzentreffen die Details für die neue Volksfront fest.

Vor zwei Jahren noch hatte Walter Momper bei seiner zweiten Kandidatur verkündet, er könne sich nicht vorstellen, daß Sozialdemokraten in der ehemaligen Frontstadt jemals mit Kommunisten zusammenarbeiteten. Der Kurzzeit-Regierende war immerhin der bundesdeutsche Wegbereiter von Rot-Grün. Er schwieg, als Klaus Wowereit nun den "linken Putsch" durchführte.

Berlin steht vor einer politischen Neuordnung. Im Ostteil der Stadt dominiert die PDS, deren Umfragewerte dort dank der Gysi-Kandidatur auf 45 Prozent gestiegen sind. Und im Westen sucht das bürgerliche Lager die eigene Hilflosigkeit nach dem Finanzskandal zu überwinden. Dazwischen wird der Interimsbürgermeister, über den außer seinen Schlafzimmergewohnheiten nichts bekannt ist, zermahlen. Der Wahltermin spielt deswegen eine besonders wichtige Rolle. Das Linkskartell fürchtet die negativen Folgen der Hamburgwahl und will daher am selben Tag wählen lassen.

Die CDU-Führung dagegen hat sich auf den 21. Oktober als Wahltermin festgelegt. Sie hofft, daß ihr eine Niederlage von Rot-Grün bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft den nötigen Schub verleiht. Zumal dann, wenn die Berliner eine Weile unter dem feministisch-fundamentalistischen angehauchten Senat gelitten haben. Je mehr die Finanzaffäre verblaßt, desto größer sind die Chancen auf einen CDU-Wahlerfolg.

Ein früher Wahltermin aber würde vor allem die entrüsteten Berliner im Westteil der Stadt zur Urne treiben. Im bürgerlichen Lager setzt die drohende Gysi-Administration ungeahnte Kräfte frei. Schon melden sich CDU-Altvordere wie Heinrich Lummer zurück, weil sie Berlin nicht zur roten Provinzstadt werden lassen wollen. Die Initiative "Berlin bleibt frei" tritt der Machtbeteiligung der PDS entgegen. Sie entstand in FDP-Kreisen und konnte beispielsweise den Politikwissenschaftler und Publizisten Arnulf Baring für sich gewinnen. Daraus könnte sich auch in Berlin ein Selbstläufer entwickeln. Eine Wählerinitiative oder Partei, die wie in Hamburg dazu beiträgt, die linke Mehrheit zu brechen, ist nicht ausgeschlossen. Selbst der CDU-Chefstratege Landowsky hat angesichts der hoffnungslosen Situation der CDU nach der (von ihm mitzuverantwortenden) Finanzkrise ein solches Projekt ins Gespräch gebracht.

Seit einiger Zeit laufen Gespräche über die Expansion der Schill-Partei in die Hauptstadt. Mehrere CDU-Abgeordnete sitzen auf "gepackten Koffern", wie es CDU-intern heißt. Die drohende Erosion der Union zeigt sich auch am Übertritt eines Abgeordneten zur Berliner FDP. Dieser hat Parteichef Westerwelle nach dem Schmusekurs mit den Postkommunisten beim Sturz des Diepgen-Senats erst einmal eine harte Linie gegen die PDS aufgedrückt. Westerwelle will mit FDP-Landeschef Günter Rexrodt nach eigener Aussage in der Hauptstadt einen "Stellvertreterkrieg" führen. Hamburg und Berlin werden damit zum Schlachtfeld eines Lagerwahlkampfes. Vielleicht werden sie auch zum Ausgangspunkt einer Neuordnung der deutschen Parteienlandschaft.

Indem die CDU sich in einem Akt politischer Selbstkastration immer weiter von der Macht entfernt hat, ist das Parteiensystem immer weiter nach links verschoben worden. Da jetzt der Anti-PDS-Konsens zerbricht, kann die Union nicht mehr anders, als die Ausgrenzung konkurrierender rechter Parteien zu beenden.


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