© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
UMWELT
Ökologische Schuldenkrise
Volker Kempf

Konsequente Naturschützer müßten sich über die Schuldenkrise in Berlin eigentlich freuen. Denn gewöhnlich bedeutet ein Kredit, daß mit diesem ein Mehrwert erwirtschaftet wird, der den Kreditnehmer und den Kreditgeber reicher werden läßt, die Natur aber ärmer. Denn wo etwas mehr wird, wird andernorts etwas weniger. Das ist ein unumstößliches Gesetz. Ein Mehr an Wirtschaftswachstum bedeutet, daß dieses durch ein Weniger an natürlichen Ressourcen "erkauft" wird. Nur in Berlin ging diese Rechnung nicht auf. Geld, genau gesagt sechs Milliarden Mark, wurde sprichwörtlich in den Sand gesetzt. Würde der Bankenfall von Berlin Schule machen, würde das zwar weniger Flächenversiegelung, weniger Ausbeutung der Meere, weniger Artensterben und die Schonung der Erdölvorräte bedeuten; es bräche aber das Kreditwesen bald komplett zusammen und unsere Wirtschaft und Demokratie gleich mit.

Somit müssen Ökologen gewarnt sein: Die Gesetze des heutigen Wirtschaftens können nicht links liegengelassen werden, so plausibel es auch ist, daß eigentlich niemand immer mehr braucht und also auch nicht immer mehr erwirtschaften muß. Zurück zur Natur geht es nicht mehr. Der Rückweg ist durch ein komplexes ökonomisches System verbaut. Das heißt aber nicht, daß Ökonomen Grund hätten, ihrerseits die Einwände der Ökologen links liegenzulassen. Damit würden sie nur demonstrieren, wie wenig sie davon begriffen haben, daß sie mit ihrem Tun an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Ohne natürliche Ressourcen kann kein Ökonom einen Mehrwert erzeugen oder sonstwie wirtschaften. Die Natur ist die Grundlage unserer Existenz. Es ist eben schon etwas an der Weisheit dran, daß wir die Natur brauchen, aber die Natur uns nicht.


 
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